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Stolz deutsch zu sein?


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Rezension von

Daniel Bigalke

Stolz deutsch zu sein? Die alte „Vergangenheitsbewältigung“ mit ihren inflationär gebrauchten Argumentationsschemata gerät ins Abseits. Bestimmte sie lange Zeit die öffentliche Auseinandersetzung, so hat sich nunmehr ein alternativer und zusehend konstruktiver Reflexionsprozeß entwickelt. Er eröffnete in den Feuilletonspalten zum Beispiel mit der Aussage Laurenz Meyers von 2000, er sei „stolz, Deutscher zu sein“, der Walser-Debatte (2002) oder mit Jörg Friedrichs Der Brand (2002) einen neuen Horizont des deutschen Selbstbewußtseins. Darauf reagieren derzeit – kaum überraschend – die bisher vorteilhaft integrierten Apostel der alten Zunft mit ihrer üblichen Polemik aus einseitiger Anschuldigung, fehlgeleitetem Geschichtsverständnis und monologischen Begriffen, die der Realität und der Mannigfaltigkeit der Historie sowie des Empirischen überhaupt kaum Rechnung tragen. Ute und Wolfgang Benz widmen sich in diesem Buch nach eigenem Anspruch „interdisziplinär“ dem Begriff „Stolz“. Nach Benz sei deutsches Staatsdenken immer schon bestrebt gewesen, die Sehnsucht nach nationaler Einheit über die „Konstruktion des Vaterlandes“ zu stillen. Der aufmerksame Leser von heute merkt bereits hier, daß er es mit einem verkürzten Verständnis von "Konstruktivismus" zu tun hat: einem selektiven Konstruktivismus, der auf Andersdenkende bezogen wird, das eigene Konzept aber ausklammert. In den Sozialwissenschaften von reflexionsfreudigerer Provenienz ist aber längst klar, daß Konstruktivismus als hermeneutisches Konzept politisch indifferent ist, das heiß jegliche reale Begebenheit generell mit zunächst subjektivem oder kulturell verortetem Sinn zu erfüllen ist. Sozial konstruiert ist damit alles - und nichts - je nach interpretativem Anliegen. So erfordert offenbar ein sinnvoller Konstruktivismus-Begriff gerade den sinngebenden kulturellen Nationalstaat. Daß Benz ein selektiv operierendes, beurteilendes und in naiver Weise kategoriesierendes Anliegen verfolgt, liegt damit auf der Hand, denn er verwendet einen Konstruktivismus-Begriff, der als solcher gar nicht existent sein kann, es sei denn, Benz bezöge ihn konsent auch auf sein eigenes Denkkonzept. Das tut er in diesem Buch nicht. Somit bastelt sich Benz ein Feindbild, worin deutsche Politik von irrationalem Nationalismus geprägt gewesen sei, der eine Kontinuität bis zur heutigen politischen „Rechten“ habe. Der nationale „Inferioritätskomplex“ (Minderwertigkeitskomplex) führe zur Romantik der Vaterlandsliebe. Das heißt nicht weniger, als daß Benz tatsächlich die deutsche Geschichte auf einen einzigen psychologischen Irrweg reduziert und diesen für Zwecke der Gegenwart gebraucht. Psychologisch wichtig ist weiterhin, daß seine Untersuchung beispielsweise den aggressiven Motivationen anderer Nationen am Vorabend des Ersten Weltkrieges, die zu erkennen bei entsprechendem Willen und wissenschaftlicher Redlichkeit keine Kunst gewesen wäre, keine Beachtung schenkt. Damit begibt er sich in die ewiggestrigen Bahnen der alten "Vergangenheitsbewältigung", die umfassend erfassendes Denken vornehmlich durch vereinfachende aber noch erwünschte Argumentationsschemata zu ersetzen pflegte. Die krampfhafte Kreation eines deutschen Negativbildes, gleichsam die Reprodution einer deutschen Negativfolie, die bisher das freie Denken blind überschwemmte, erscheint somit als ausschließlich persönliche Reaktion des Herrn Benz auf die oben genannte progressive Infragestellung der alten Bewätigungs-Dogmen. Sie ist Produkt womöglich seines eigenen Inferioritätskonplexes. Bei einer weniger bewußtseinsverengten Betrachtung hätte Benz erkennen müssen und auch können, daß deutsches Staatsdenken nicht notwendig irrationalistisch oder nationalistisch ist, wenn in ihm die einem jeden Moralismus von Schuld und Sühne abstinente analytische Geopolitik in Verbindung mit einem metaphysischen aber realistischen Bilde vom Menschen gesehen wird. Die Ich-Du-Beziehung des Menschen, seine grundlegende Freiheit und Fähigkeit zur Selbstvervollkommnung sowie die Beurteilung der Realität nach kausalen Ursache-Wirkung-Verhältnissen schließen sich in dialektischer Verschränkung in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert nicht aus. Damit ist der deutsche Politikbegriff pragmatisch, realistisch und idealistisch zugleich kontextualisiert. Durch diese integrale Reflexion steht er jenseits punktuell auftretender Meinungen oder mechanisch abrufbarer Gesinnungen und praktizierte bereits im 19. Jahrhundert einen grundlegenden Skeptizismus gegenüber allen potentiellen Dogmen, um ihnen die gleichsam reflektierte Idee der Humanität und des ganzheitlichen Denkens entgegenzusetzen. Man denke an Johann Gottlieb Fichtes Schrift "Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters". Benz hätte zur Ausgewogenheit auch den Vernunftidealismus und seinen übernationalen Begriff des „Reiches“ von Fichte hinzuziehen können. Was hinderte ihn daran? Seine Methode wäre zu einem differenzierteren Urteil gelangt. Wer also den Begriff „Stolz“ umfassend bewerten will und deutsches Selbstbewußtsein nicht auf ein banales „Unvermögen“ bei der „Sauberkeitsentwicklung“ reduziert sieht - wie es Ute Benz tut - sollte das Benzsche Buch mit Vorsicht genießen. Deutlicher: Die wenig ergebnisoffene Forschung der Familie Benz – symptomatisch beim Zentrum für Antisemitismusforschung – ist simple Pseudo-Wissenschaft, vor deren Hintergrund man jeden Versuch zur annährnden Objektivität zu schätzen lernt. Kein interdisziplinärer Ansatz ist ergiebig, wenn er sich primär aus einem aggressiven antideutschen und zumal noch lediglich partikularistischen Ressentiment speist. Wer den deutschen Politikbegriff - herangewachsen in 200 Jahren und immer noch aktuell - beurteilen will, sollte bereit sein, ihn zunächst unvoreingenommen selbst zu praktizieren: politische Reflexion, grundlegender Skeptizismus, ganzheitliche Dialektik anstelle subjektivistischer Partikularität, kurz: Wissenschaftliche Redlichkeit wurzelt gerade in der deutschen Philosophie und ihrer Anwendungen auf den Bereich des Politischen. Diesen Weg zu beschreiten, steht in der deutschen Nachkriegsdemokratie noch aus.

Die alte „Vergangenheitsbewältigung“ mit ihren inflationär gebrauchten Argumentationsschemata gerät ins Abseits. Bestimmte sie lange Zeit die öffentliche Auseinandersetzung, so hat sich nunmehr ein alternativer und zusehend konstruktiver Reflexionsprozeß entwickelt. Er eröffnete in den Feuilletonspalten zum Beispiel mit der Aussage Laurenz Meyers von 2000, er sei „stolz, Deutscher zu sein“, der Walser-Debatte (2002) oder mit Jörg Friedrichs Der Brand (2002) einen neuen Horizont des deutschen Selbstbewußtseins. Darauf reagieren derzeit – kaum überraschend – die bisher vorteilhaft integrierten Apostel der alten Zunft mit ihrer üblichen Polemik aus einseitiger Anschuldigung, fehlgeleitetem Geschichtsverständnis und monologischen Begriffen, die der Realität und der Mannigfaltigkeit der Historie sowie des Empirischen überhaupt kaum Rechnung tragen.

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Ute und Wolfgang Benz widmen sich in diesem Buch nach eigenem Anspruch „interdisziplinär“ dem Begriff „Stolz“. Nach Benz sei deutsches Staatsdenken immer schon bestrebt gewesen, die Sehnsucht nach nationaler Einheit über die „Konstruktion des Vaterlandes“ zu stillen. Der aufmerksame Leser von heute merkt bereits hier, daß er es mit einem verkürzten Verständnis von "Konstruktivismus" zu tun hat: einem selektiven Konstruktivismus, der auf Andersdenkende bezogen wird, das eigene Konzept aber ausklammert. In den Sozialwissenschaften von reflexionsfreudigerer Provenienz ist aber längst klar, daß Konstruktivismus als hermeneutisches Konzept politisch indifferent ist, das heiß jegliche reale Begebenheit generell mit zunächst subjektivem oder kulturell verortetem Sinn zu erfüllen ist. Sozial konstruiert ist damit alles - und nichts - je nach interpretativem Anliegen. So erfordert offenbar ein sinnvoller Konstruktivismus-Begriff gerade den sinngebenden kulturellen Nationalstaat. Daß Benz ein selektiv operierendes, beurteilendes und in naiver Weise kategoriesierendes Anliegen verfolgt, liegt damit auf der Hand, denn er verwendet einen Konstruktivismus-Begriff, der als solcher gar nicht existent sein kann, es sei denn, Benz bezöge ihn konsent auch auf sein eigenes Denkkonzept. Das tut er in diesem Buch nicht. Somit bastelt sich Benz ein Feindbild, worin deutsche Politik von irrationalem Nationalismus geprägt gewesen sei, der eine Kontinuität bis zur heutigen politischen „Rechten“ habe. Der nationale „Inferioritätskomplex“ (Minderwertigkeitskomplex) führe zur Romantik der Vaterlandsliebe. Das heißt nicht weniger, als daß Benz tatsächlich die deutsche Geschichte auf einen einzigen psychologischen Irrweg reduziert und diesen für Zwecke der Gegenwart gebraucht. Psychologisch wichtig ist weiterhin, daß seine Untersuchung beispielsweise den aggressiven Motivationen anderer Nationen am Vorabend des Ersten Weltkrieges, die zu erkennen bei entsprechendem Willen und wissenschaftlicher Redlichkeit keine Kunst gewesen wäre, keine Beachtung schenkt. Damit begibt er sich in die ewiggestrigen Bahnen der alten "Vergangenheitsbewältigung", die umfassend erfassendes Denken vornehmlich durch vereinfachende aber noch erwünschte Argumentationsschemata zu ersetzen pflegte. Die krampfhafte Kreation eines deutschen Negativbildes, gleichsam die Reprodution einer deutschen Negativfolie, die bisher das freie Denken blind überschwemmte, erscheint somit als ausschließlich persönliche Reaktion des Herrn Benz auf die oben genannte progressive Infragestellung der alten Bewätigungs-Dogmen. Sie ist Produkt womöglich seines eigenen Inferioritätskonplexes.

Bei einer weniger bewußtseinsverengten Betrachtung hätte Benz erkennen müssen und auch können, daß deutsches Staatsdenken nicht notwendig irrationalistisch oder nationalistisch ist, wenn in ihm die einem jeden Moralismus von Schuld und Sühne abstinente analytische Geopolitik in Verbindung mit einem metaphysischen aber realistischen Bilde vom Menschen gesehen wird. Die Ich-Du-Beziehung des Menschen, seine grundlegende Freiheit und Fähigkeit zur Selbstvervollkommnung sowie die Beurteilung der Realität nach kausalen Ursache-Wirkung-Verhältnissen schließen sich in dialektischer Verschränkung in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert nicht aus. Damit ist der deutsche Politikbegriff pragmatisch, realistisch und idealistisch zugleich kontextualisiert. Durch diese integrale Reflexion steht er jenseits punktuell auftretender Meinungen oder mechanisch abrufbarer Gesinnungen und praktizierte bereits im 19. Jahrhundert einen grundlegenden Skeptizismus gegenüber allen potentiellen Dogmen, um ihnen die gleichsam reflektierte Idee der Humanität und des ganzheitlichen Denkens entgegenzusetzen. Man denke an Johann Gottlieb Fichtes Schrift "Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters".

Benz hätte zur Ausgewogenheit auch den Vernunftidealismus und seinen übernationalen Begriff des „Reiches“ von Fichte hinzuziehen können. Was hinderte ihn daran? Seine Methode wäre zu einem differenzierteren Urteil gelangt. Wer also den Begriff „Stolz“ umfassend bewerten will und deutsches Selbstbewußtsein nicht auf ein banales „Unvermögen“ bei der „Sauberkeitsentwicklung“ reduziert sieht - wie es Ute Benz tut - sollte das Benzsche Buch mit Vorsicht genießen. Deutlicher: Die wenig ergebnisoffene Forschung der Familie Benz – symptomatisch beim Zentrum für Antisemitismusforschung – ist simple Pseudo-Wissenschaft, vor deren Hintergrund man jeden Versuch zur annährnden Objektivität zu schätzen lernt. Kein interdisziplinärer Ansatz ist ergiebig, wenn er sich primär aus einem aggressiven antideutschen und zumal noch lediglich partikularistischen Ressentiment speist. Wer den deutschen Politikbegriff - herangewachsen in 200 Jahren und immer noch aktuell - beurteilen will, sollte bereit sein, ihn zunächst unvoreingenommen selbst zu praktizieren: politische Reflexion, grundlegender Skeptizismus, ganzheitliche Dialektik anstelle subjektivistischer Partikularität, kurz: Wissenschaftliche Redlichkeit wurzelt gerade in der deutschen Philosophie und ihrer Anwendungen auf den Bereich des Politischen. Diesen Weg zu beschreiten, steht in der deutschen Nachkriegsdemokratie noch aus.

geschrieben am 28.11.2006 | 756 Wörter | 5318 Zeichen

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