ISBN | 3866070144 | |
Autor | Syd Barney-Hawke | |
Verlag | Panini | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 240 | |
Erscheinungsjahr | 2006 | |
Extras | - |
Seit ihrem ersten Auftritt im Jahre 1963 haben sich die X-Men mittlerweile zu den wohl beliebtesten Superhelden der Comic-Geschichte entwickelt. Nachdem in den frĂŒhen 70er Jahren Reprints des Materials von 1963 bis 1970 das Gesicht der Serie bestimmten, begann der eigentliche Aufstieg in der Publikumsgunst jedoch erst im Jahre 1975 mit âGiant X-Men No. 1â, welches von Len Wein geschrieben und von Dave Cockrum con-genial illustriert eine Mischung aus alten (z.B. Cyclops und Jean Grey) und neuen Charakteren (Nightcrawler, Colossus, Storm u.a) prĂ€sentierte. Als weiterer GlĂŒcksfall erwies sich im Folgenden, dass ab X-Men #94 (August 1975) der brillante Chris Claremont als Autor gewonnen werden konnte. Von da an geriet die X-Men-Geschichte -gemessen am Umsatz- zu einer einzigen Erfolgsstory, welche sich nach nunmehr rund 30 Jahren an zahllosen Spin-Offs und Tie-Ins, vielen mehr oder weniger komplexen Story-Arcs sowie einer geradezu unĂŒberschaubaren Anzahl von Charakteren in zig unterschiedlichen Konstellationen festmachen lĂ€sst.
Ist es selbst fĂŒr treue Fans der Serie(n) schon schwer, angesichts der KomplexitĂ€t des X-Universums den Ăberblick zu behalten, so ist es fĂŒr Neueinsteiger nahezu unmöglich. Eingedenk dessen formuliert Joe Queseda in seinem Vorwort zur X-Men EnzyklopĂ€die ihren Anspruch wie folgt:
â Diese EnzyklopĂ€die soll als Nachschlagewerk fĂŒr diejenigen dienen, die die Probleme und Triumphe der Mutantengruppe schon seit Jahren oder Jahrzehnten verfolgen. Aber ebenso auch als EinfĂŒhrung fĂŒr neue Fans, die die fantastische Welt der X-Men mit all ihren Licht- und Schattenseiten gerade erst entdeckt habenâ [S.4]
Um es vorweg zu nehmen: bedauerlicherweise verfehlt dieses âHandbuchâ die vollmundig in den Raum gestellte Zielvorgabe meilenweit. Doch bevor es ans Kritisieren geht, werfen wir zunĂ€chst einen Blick auf den Inhalt, die Systematik der Gliederung und die Darstellung.
Den Kern des Buchs bilden âDatensĂ€tzeâ zu mehr als 350 Mutanten und einigen Normalsterblichen. Wie umfangreich sich diese Daten im Einzelnen gestalten, hĂ€ngt -salopp gesprochen- von der Bedeutung der Charaktere innerhalb des X-Universums ab. Die Grundinformationen, welchen zu jedem Mutanten geliefert werden, umfassen folgende Punkte: Bild, wahrer Name, erster Comic-Auftritt, GröĂe, Gewicht und -stichwortartig- KrĂ€fte/Waffen. DarĂŒber hinaus werden in einem Extra-Feld sechs Attribute -Intelligenz, StĂ€rke, Geschwindigkeit, Widerstandskraft, Energieprojektion, Kampffertigkeiten- mittels einer siebenstufigen Skala und unterschiedlichen Farben grafisch veranschaulicht.
Die nĂ€chste Ebene in der Mutanten-Hackordnung ist gekennzeichnet durch zusĂ€tzliche Informationen ĂŒber Haar- und Augenfarbe sowie einer sehr kurzen (ca. 12 bis 13 halbe Zeilen umfassenden) Vita. Diejenigen Mutanten, die es ganz nach oben geschafft haben, dĂŒrfen sich ĂŒber eine so ausfĂŒhrliche Biografie freuen, dass diese mindestens eine, in besonderen FĂ€llen auch zwei ganze Seiten Text umfasst.
âVervollstĂ€ndigtâ wird diese Datensammlung durch ein kurzes Vorwort, einen 11-seitigen Exkurs ĂŒber Xavier Mansion (etwa anderthalb Seiten Text, der Rest Zeichnungen), einen kurzen Artikel ĂŒber das âUltimate X-Menâ-Konzept, Literaturhinweise, einen Index aller Namen und schlieĂlich eine kurze ErlĂ€uterung der oben angesprochen Attribute-Skala.
ErwĂ€hnenswert ist weiterhin, dass sich die Gliederung des Handbuchs nicht primĂ€r an Mutanten- sondern an Team-Namen orientiert. Den Anfang machen die âklassischenâ X-Men um Professor Xavier, gefolgt von Acolytes, Alpha Flight, Brotherhood of Evil Mutants u.a. bis hin zu X-Corporation und -zuletzt- X-Static. Mutanten, die -warum auch immer- keinem Team zugeordnet wurden, mĂŒssen sich mit einem Platz in den abschlieĂenden Cerebra-Files zufrieden geben.
So weit, so schlecht. Rufen wir uns den Anspruch dieses Buches, ein Nachschlagewerk fĂŒr Profis und Amateure zu sein, in Erinnerung. WĂ€re ich zynisch, wĂŒrde ich sagen, dass die X-Men-EnzyklopĂ€die diesem Anspruch voll und ganz gerecht wird, denn nachschlagen kann man in der Tat Vieles, allein finden wird man wenig. Abgesehen von SchwĂ€chen in Aufbau und Darstellung zeichnet sich dass Buch nĂ€mlich vor allem durch Eines aus: groĂes weiĂe Flecken innerhalb des bunten X-Men-Universums. Aber der Reihe nach.
Beginnen wir ganz klein, d.h. auf der Ebene der DatensĂ€tze: Dass GröĂe und Gewicht der Charaktere von Bedeutung sind, ist angesichts der zahlreichen Kloppereien durchaus nachvollziehbar. Welchen Informationswert allerdings Haar- und Augenfarbe in Zeiten von Kontaktlinsen und Haartönungen haben, bleibt zumindest mir schleierhaft. Ich hĂ€tte mir stattdessen kurze, knackige Infos zu Staatsangehörigkeit bzw. Geburtsort und -vor allem- jetzigen âStatusâ (aktiv, vermisst, tot) gewĂŒnscht, damit man sich nicht aus den im Zweifel gar nicht vorhandenen Biografien saugen muss, dass der Mutie schon lĂ€ngst das Zeitliche gesegnet hat.
Weiterhin ergeben sich Ungereimtheiten aus der Skalierung der Attribute: wenn beispielsweise bei Raza (Starjammers) in der KrĂ€fte-Beschreibung angegeben ist, er sei auf Grund kybernetischer Implantate nahezu unzerstörbar, sich auf der Widerstandskraftskala jedoch ein mĂ€Ăiger Wert von âgesteigertâ (was weniger als kugelsicher ist) zeigt, dann zeugt das von einem -vorsichtig ausgedrĂŒckt- ungenauen Lektorat, zumal solche Diskrepanzen zwischen beschreibendem Text und bunter Skala bei mehreren Charakteren deutlich werden.
Bei einigen Attributen -wie der Intelligenz und der Energieprojektion- hingegen böte die Einteilung selbst genug Anlass fĂŒr eine hitzige Debatte ĂŒber Sinnhaftigkeit und Aussagekraft solcher Skalen.
Etwas, das unter Informationsgesichtspunkten weniger wichtig, fĂŒr den Gesamteindruck jedoch von zentraler Bedeutung ist, ist das Artwork, fĂŒr welches bei diesem Nachschlagewerk unterschiedliche KĂŒnstler verantwortlich zeichnen. Hier halten sich Licht und Schatten in etwa die Waage: WĂ€hrend die groĂformatigen Illustrationen bis auf wenige Ausnahmen -z.B. Mike âStrichstĂ€rken unter 4 mm sind mir suspektâ Allred oder Frank âich steh auf Pfannkuchengesichterâ Quitely- einen durchweg positiven Eindruck hinterlassen, trifft auf viele der kleinformatigen Bilder, die man einfach aus alten Comics ârĂŒberkopiertâ hat, leider das Gegenteil zu. Es wĂ€re schön gewesen, wenn aus Respekt vor dem Leser und der eigenen âGlaubwĂŒrdigkeitâ halber beim Artwork ein bestimmtes Niveau, nĂ€mlich das von âSechstklĂ€ssler-Zeichnungenâ, nicht unterschritten worden wĂ€re.
Das Layout selbst wiederum ist im GroĂen und Ganzen gut und ĂŒbersichtlich, auch wenn fĂŒr meinen Geschmack etwas zu verschwenderisch -im Vergleich bspw. zu Rollenspiel-QuellenbĂ€nden- mit dem zur VerfĂŒgung stehenden Platz umgegangen wird.
Doch all diese kleineren Kritikpunkte verlieren an Bedeutung, wenn man sich die zentrale SchwĂ€che dieses Nachschlagewerks vor Augen hĂ€lt: Das Fehlen riesiger Abschnitte der X-Men-Historie und der Verzicht auf die Darstellung von HandlungszusammenhĂ€ngen. Besonders ĂŒbel stöĂt hierbei auf, dass der Autor, Syd Barney-Hawke, es an keiner Stelle fĂŒr nötig hĂ€lt, seine Charakter-Auswahl, den Aufbau des Buches oder den Verzicht auf fast Alles, was das X-Universum auszeichnet, gegenĂŒber dem wissbegierigen Leser zu begrĂŒnden. Da das AufzĂ€hlen aller UnzulĂ€nglichkeiten -gerade auch derjenigen, die sich in den kurzen, oberflĂ€chlichen und z.T. schlecht recherchierten Charakterbeschreibungen verbergen- ein Mittagsschlaf raubendes Unterfangen wĂ€re, will ich mich vergleichsweise kurz halten und nur wenige -in meinen Augen jedoch zentrale- MĂ€ngel aufzĂ€hlen:
1) Zahlreiche Teams -Excalibur, X-Force, X-Factor (u.a.) auf Seiten der Guten, Alliance of Evil, Dark Riders (u.a.) auf Seite des Bösen- sind dem Autor kaum eine Zeile wert, geschweige denn ein eigenes Stichwort mit erlÀuterndem Text.
2) âAlternativeâ RealitĂ€ten wie bspw. âAge of Apocalypseâ, die âAskani-Zeitlinieâ oder âX-Men 2099â, die zwar nicht unbedingt in den aktuellen Kontext passen, die aber nichtsdestotrotz ein integraler Bestandteil der X-Men-Geschichte sind, fehlen entweder vollkommen oder werden nur implizit bzw. in einigen NebensĂ€tzen, verteilt im ganzen Buch, angesprochen
3) Zu zahlreichen Helden und -vor allem- Schurken, liefert uns Barney-Hawke keinerlei Daten, ohne dass ersichtlich wird, weshalb, denn dieses Ignorieren betrifft nicht nur Charaktere aus den in Punkt 2) angesprochenen âRealitĂ€tenâ, sondern auch solche der ganzen ânormalenâ X-Men-Zeitlinie. Faktisch ist die Liste derer, die fehlen, lĂ€nger als die Liste der Mutanten, denen der Autor EintrĂ€ge spendiert hat.
4) Auf bedeutsame Crossovers wie âInfernoâ, âX-Tinction Agendaâ, âFall of the Mutantsâ (u.a.) sowie mehrbĂ€ndige Handlungsbögen wird nicht explizit eingegangen. Lediglich aus den Verweisen in den Literaturempfehlungen und wenigen verstreuten SĂ€tzen lĂ€sst sich auf deren Existenz bzw. Relevanz schlieĂen.
Setzt man das, was dieses Buch zu leisten vermag, in Relation zu den oben angefĂŒhrten MĂ€ngeln, so drĂ€ngt sich die Frage auf, ob nicht das Abzocken von Fans im Endeffekt das einzige zugrunde liegende Konzept dieser âbilligâ und unambitioniert wirkenden Charakter-Sammlung ist.
Fazit: Unterm Strich machen das eklatante Fehlen von Hintergrundinformationen und VerknĂŒpfungen sowie die UnvollstĂ€ndigkeit der Daten diese âEnzyklopĂ€dieâ als sinnvolles Nachschlagewerk sowohl fĂŒr Neueinsteiger, als auch alte X-Hasen ungeeignet.
geschrieben am 05.06.2006 | 1280 Wörter | 8328 Zeichen
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