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Schmerz des Vermissens


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Rezension von

Daniel Bigalke

Schmerz des Vermissens Gerhard Nebel gehört zu den am meisten verschollenen Autoren dieses Jahrhunderts in Deutschland. Geboren im anhaltinischen Dessau, war er stets der Sucher nach dem „Normativen“, nach einer gleichsam metaphysischen Beheimatung. Durch den Niedergang der Weimarer Republik politisiert, tritt er zunächst der SPD bei, um später mit dem Syndikalismus Sorels zu sympathisieren. Später wird er wegen sozialistischer Agitation vom Schuldienst suspendiert und vollzieht nach der Begegnung mit Carl Schmitt und Ernst Jünger eine Wende zum undogmatischen Konservatismus. Er kritisiert aber zugleich Jünger, weil dieser an die innerweltliche Erlösung glaube. Der Mensch sei aber, so Nebel, ein verrücktes und bösartiges Wesen, das gelenkt, verführt, betrogen werden muß - zu seinem Besten. Wir haben es also mit einem misanthropischen, gleichsam anthropofugalen Phänomen zu tun. Das vorliegende Buch gilt der Wiederentdeckung dieses vergessenen Phänomens. Es enthält zentrale Aufsätze, die zeigen, daß Gerhard Nebel nicht nur ein glänzender Schriftsteller und wortgewaltiger Polemiker war, sondern auch viele der Probleme unseres Zeitalters früher gesehen hat als andere. In Aufsätzen wie „Dunkelheit“ zeigt sich Nebel als Gegner der Aufklärung und Okkasionalist, der kantige Individualitäten und die lebensweltliche Komplexität von Ordnungen bevorzugt. Die „ontologische Armut“, also die Einengung auf die Realität, sorge für den Unmenschen, den Verschwender und Hedonisten der Gegenwart, der sich durch ein Feindbild seine Energien verschafft. Diese bornierte Immanenz – das hybride Bestehen auf die Diesseitigkeit allen Seins - kommt für Nebel ohne eine feindliche böse Macht, die sich der Mensch konstruiert, nicht aus: sei es der Russe, der Faschist oder der Amerikaner. Und so folgt daraus, daß Nebel unter anderem auch in dem Text „Jetzt und Augenblick“ die Unstetigkeit der Phrasen des politischen Alltags gnadenlos entlarvt. Zwei Formen der Entpersonalisierung stellt er dabei fest: der wirkliche Ästhet und der zur Brauchbarkeit entleerte Funktionär, der sich dieser Phrasen bedient. Keine Frage: Bei allen Essays, die den Leser wahrlich hinreißen, zeigt sich die Grundtendenz, daß der Mensch von Nebel als ein notwendig Scheiternder betrachtet wird, der statt des Himmelreiches stets die Hölle zu organisieren beginnt und dessen Langeweile in Zeiten der „Zivilisation“ die „Verödung der Herzen“ mit sich führe. Verzichtet der Gelangweilte auf die sich überall anbietenden medialen Übertünchungen seiner Nichtigkeit, so schlage das erst in Wirklichkeit um. Erst das ist für Nebel die Wiedergeburt des Menschen. Sehr scheint er also unter den terminologischen Verkürzungen und der potentiellen Denkfaulheit des „Rationalismus“ zu leiden: „Mit frisch erlernten Vokabeln und keiner soliden und zuchtvollen Arbeit wird heute alles bewältigt: Geschwätz reicht aus, um Lebensunterhalt zu verdienen, frisch erlernte Wörter: Struktur, faschistoid, funktional, Dialektik, repressiv, Polarisierung, stagnieren, forcieren. Es sind Wortkadaver, die vom Leben des Geistes verlassen sind.“ Keine Frage, daß er hier an die Bewegung der 68er und deren Wortkonstruktionen denkt, die er auch als ein Produkt der Langenweile sah. Sehr hilfreich ist in diesem Buch das Nachwort, welches erstmals zu fassen vermag, was Gerhard Nebel ausmacht: Einzelgängertum, Stärke im Verwerfen und Verehren, Verachtung der rationalistischen Seinsverengung, Kampf gegen die transzendenzvernichtende Aufklärung. Dem Leser drängt sich der Eindruck auf, daß Nebel seine Lage kontinuierlich für hoffnungslos sah. Aber selbst diese Hoffnungslosigkeit muß für ihn annehmbar gewesen sein, war es doch für ihn bekanntlich ohnehin unerheblich, ob der Untergang kapitalistisch, dirigistisch, demokratisch oder faschistisch passiert. Der Mensch befindet sich für Nebel immer in einer antinomischen Situation, zwischen Gebundenheit und Freiheit, zwischen Geist und Natur, zwischen Gott und Welt. Und so liegt Nebels Bedeutung heute gerade in der Deutlichkeit, mit der er dieser Erfahrung Ausdruck verlieh. Seine hier vorliegenden Essays über den modernen Zeitbegriff und den Fortschrittsgedanken sind ein entsprechend großartiger Pfeiler in Buchform, den ein Denker in den literarischen Boden rammte, der weder der Aufklärung noch dem Irrationalismus zuzuordnen, weder der Linken zugehörig ist noch Versuchungen von Rechts nachgab. Er war unabhängiger und dadurch erst der kompromisslose Beobachter seiner Zeit, den seine Leser nunmehr als unverwechselbar erleben können.

Gerhard Nebel gehört zu den am meisten verschollenen Autoren dieses Jahrhunderts in Deutschland. Geboren im anhaltinischen Dessau, war er stets der Sucher nach dem „Normativen“, nach einer gleichsam metaphysischen Beheimatung. Durch den Niedergang der Weimarer Republik politisiert, tritt er zunächst der SPD bei, um später mit dem Syndikalismus Sorels zu sympathisieren. Später wird er wegen sozialistischer Agitation vom Schuldienst suspendiert und vollzieht nach der Begegnung mit Carl Schmitt und Ernst Jünger eine Wende zum undogmatischen Konservatismus. Er kritisiert aber zugleich Jünger, weil dieser an die innerweltliche Erlösung glaube. Der Mensch sei aber, so Nebel, ein verrücktes und bösartiges Wesen, das gelenkt, verführt, betrogen werden muß - zu seinem Besten. Wir haben es also mit einem misanthropischen, gleichsam anthropofugalen Phänomen zu tun. Das vorliegende Buch gilt der Wiederentdeckung dieses vergessenen Phänomens. Es enthält zentrale Aufsätze, die zeigen, daß Gerhard Nebel nicht nur ein glänzender Schriftsteller und wortgewaltiger Polemiker war, sondern auch viele der Probleme unseres Zeitalters früher gesehen hat als andere.

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In Aufsätzen wie „Dunkelheit“ zeigt sich Nebel als Gegner der Aufklärung und Okkasionalist, der kantige Individualitäten und die lebensweltliche Komplexität von Ordnungen bevorzugt. Die „ontologische Armut“, also die Einengung auf die Realität, sorge für den Unmenschen, den Verschwender und Hedonisten der Gegenwart, der sich durch ein Feindbild seine Energien verschafft. Diese bornierte Immanenz – das hybride Bestehen auf die Diesseitigkeit allen Seins - kommt für Nebel ohne eine feindliche böse Macht, die sich der Mensch konstruiert, nicht aus: sei es der Russe, der Faschist oder der Amerikaner. Und so folgt daraus, daß Nebel unter anderem auch in dem Text „Jetzt und Augenblick“ die Unstetigkeit der Phrasen des politischen Alltags gnadenlos entlarvt. Zwei Formen der Entpersonalisierung stellt er dabei fest: der wirkliche Ästhet und der zur Brauchbarkeit entleerte Funktionär, der sich dieser Phrasen bedient.

Keine Frage: Bei allen Essays, die den Leser wahrlich hinreißen, zeigt sich die Grundtendenz, daß der Mensch von Nebel als ein notwendig Scheiternder betrachtet wird, der statt des Himmelreiches stets die Hölle zu organisieren beginnt und dessen Langeweile in Zeiten der „Zivilisation“ die „Verödung der Herzen“ mit sich führe. Verzichtet der Gelangweilte auf die sich überall anbietenden medialen Übertünchungen seiner Nichtigkeit, so schlage das erst in Wirklichkeit um. Erst das ist für Nebel die Wiedergeburt des Menschen. Sehr scheint er also unter den terminologischen Verkürzungen und der potentiellen Denkfaulheit des „Rationalismus“ zu leiden: „Mit frisch erlernten Vokabeln und keiner soliden und zuchtvollen Arbeit wird heute alles bewältigt: Geschwätz reicht aus, um Lebensunterhalt zu verdienen, frisch erlernte Wörter: Struktur, faschistoid, funktional, Dialektik, repressiv, Polarisierung, stagnieren, forcieren. Es sind Wortkadaver, die vom Leben des Geistes verlassen sind.“ Keine Frage, daß er hier an die Bewegung der 68er und deren Wortkonstruktionen denkt, die er auch als ein Produkt der Langenweile sah.

Sehr hilfreich ist in diesem Buch das Nachwort, welches erstmals zu fassen vermag, was Gerhard Nebel ausmacht: Einzelgängertum, Stärke im Verwerfen und Verehren, Verachtung der rationalistischen Seinsverengung, Kampf gegen die transzendenzvernichtende Aufklärung. Dem Leser drängt sich der Eindruck auf, daß Nebel seine Lage kontinuierlich für hoffnungslos sah. Aber selbst diese Hoffnungslosigkeit muß für ihn annehmbar gewesen sein, war es doch für ihn bekanntlich ohnehin unerheblich, ob der Untergang kapitalistisch, dirigistisch, demokratisch oder faschistisch passiert. Der Mensch befindet sich für Nebel immer in einer antinomischen Situation, zwischen Gebundenheit und Freiheit, zwischen Geist und Natur, zwischen Gott und Welt. Und so liegt Nebels Bedeutung heute gerade in der Deutlichkeit, mit der er dieser Erfahrung Ausdruck verlieh. Seine hier vorliegenden Essays über den modernen Zeitbegriff und den Fortschrittsgedanken sind ein entsprechend großartiger Pfeiler in Buchform, den ein Denker in den literarischen Boden rammte, der weder der Aufklärung noch dem Irrationalismus zuzuordnen, weder der Linken zugehörig ist noch Versuchungen von Rechts nachgab. Er war unabhängiger und dadurch erst der kompromisslose Beobachter seiner Zeit, den seine Leser nunmehr als unverwechselbar erleben können.

geschrieben am 21.11.2007 | 626 Wörter | 3894 Zeichen

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