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Von der Tat zur Gelassenheit.


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Von der Tat zur Gelassenheit. Als Anfang der Dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts Ernst Jüngers Essays »Die totale Mobilmachung« und »Der Arbeiter« erscheinen, sah der Philosoph Martin Heidegger darin unmittelbar den Geist der sich vollendenden Neuzeit. Heidegger, der einige Jahre zuvor als Nachfolger Edmund Husserls nach Freiburg berufen worden war, empfand Ernst Jünger als den »einzigen echten Nachfolger Nietzsches«. In seinen Aufzeichnungen begründet Heidegger seine Jünger-Euphorie: »Ernst Jünger hat als Einziger eine Deutung des ersten Weltkrieges in seinem kriegerischen Wesen vollzogen, die aus den härtesten Erfahrungen des Stoßtruppführers der Materialschlachten entspringt und zugleich im Bezirk derjenigen Metaphysik Fuß faßt, die das Zeitalter bereits und wider sein Wissen bestimmt; das ist Nietzsches Lehre vom ‚Willen zur Macht’. Jünger übersetzt diesen aus der Überlieferung der deutschen Metaphysik seit Leibnitz vorbestimmten Titel durch den unserem Jahrhundert gemäßeren Namen ‚Arbeit’.« Im Januar 1940 ruft Heidegger gar an der Universität einen kleinen Kreis von Kollegen zusammen zu einer »Aussprache über Jünger«. Heidegger und die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger trafen sich in der kritischen Perzeption des technischen Zeitalters. Im Gegensatz zu Heidegger waren die Schriftsteller allerdings sensibler. Spätestens 1930 distanzierte sich Ernst Jünger deutlich von den Nationalsozialisten und tat alles, um den Anschein zu vermeiden, er würde mit dieser Bewegung sympathisieren. Heidegger blieb nicht nur jahrelang an der Seite der Nazis. Er legte in seinem dezisionistischen Überschwang auch Verhaltensweisen an den Tag, die bei den Jüngers undenkbar waren. Daniel Morat untersucht in seiner monumentalen Doktorarbeit »Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920 - 1960« nicht nur das Verhältnis der Drei zueinander, sondern vielmehr deren Entwicklung vom Dezisionismus der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts zu einem Rückzug aus der politischen Aktivität. Die Untersuchung ist eine wirkliche Fleißarbeit. Morat hat sich gründlich eingearbeitet und beleuchtet unterschiedliche Themenfelder, die letztlich ein Bild entstehen lassen. Er kennt die Literaturlage und weiß damit souverän umzugehen. Er berücksichtigt neueste Forschungsergebnisse und gewichtet nachvollziehbar. Soviel an Positivem. Zu kritisieren ist, dass Morat letztlich nichts Neues bringt. Die einzelnen Unterkapitel sind informativ, - aber man erfährt nichts, was nicht woanders zu lesen wäre. Das ist die Krux des aktuellen Wissenschaftsbetriebs. Es wird von wissenschaftlichen Abschlussarbeiten heute nicht mehr verlangt, die Forschung voranzutreiben, Neues erarbeitet zu haben. Die Professoren begnügen sich mangels eigenen Überblicks damit, eine Zusammenfassung des veröffentlichten Forschungsstandes aus leicht gedrehtem Blickwinkel zu erhalten. Morat hat sich ein äußerst spannendes Thema gewählt. Es steht an, sich dieser Frage ausführlich zu widmen. Aber seine Antworten scheinen der Fragestellung nicht ganz gewachsen. Untersucht man die Entwicklung Ernst Jüngers vom bekanntesten nationalistischen Publizisten der Zwischenkriegszeit zum Rückzug aus dem Feld des Politischen, so muss man den Begriff der Désinvolture problematisieren. Was meint Jünger genau damit und welche individuellen Erfahrungen haben ihn dort hinkommen lassen. Morat geht auf Schilderungen Jüngers in seinen Kriegstagebüchern ein, ist aber nicht in der Lage, diese substantiell zu reflektieren. Entscheidend in Jüngers Diarien ist auch das Weggelassene. Er schildert nicht den Kriegsverlauf, sondern trifft sich mit französischen Geistesmenschen und Ästheten. Hierzu hätte man bei Morats Themenstellung gern mehr gelesen. Essentiell in diesem Zusammenhang ist die Figur des Dandys. Nikolaus Sombart sah in einer Eloge zum hundertsten Geburtstag Ernst Jüngers diesen als »Dandy im Forsthaus«. Und der Schriftsteller selbst hat in einigen süffisanten Tagebuchäußerungen dargestellt, es sei kein Fehler gewesen, sich als Nationalist, sondern sich überhaupt beteiligt zu haben. An anderer Stelle notiert Jünger, den Dandy kränke mehr, ästhetisch als politisch zu versagen. Jünger hat den Ur-Dandy Beau Brummell ebenso studiert, wie er sich ein Leben lang für den Exzentriker und großartigen Dandy Oscar Wilde interessierte. Diese schmalen Seitenpfade hat Morat nicht gesehen. An mancher Stelle hätte man sich auch ein wenig mehr Differenzierungsvermögen und weniger political correctness gewünscht. Wenn Morat das westliche Nachkriegsdeutschland als »Tätergesellschaft« qualifiziert, so hat er den Anschluss an die Zeitgeschichtsforschung verpasst, die gerade dabei ist, sich aus dem dogmatisch-ideologischen Sumpf zu ziehen.

Als Anfang der Dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts Ernst Jüngers Essays »Die totale Mobilmachung« und »Der Arbeiter« erscheinen, sah der Philosoph Martin Heidegger darin unmittelbar den Geist der sich vollendenden Neuzeit. Heidegger, der einige Jahre zuvor als Nachfolger Edmund Husserls nach Freiburg berufen worden war, empfand Ernst Jünger als den »einzigen echten Nachfolger Nietzsches«. In seinen Aufzeichnungen begründet Heidegger seine Jünger-Euphorie: »Ernst Jünger hat als Einziger eine Deutung des ersten Weltkrieges in seinem kriegerischen Wesen vollzogen, die aus den härtesten Erfahrungen des Stoßtruppführers der Materialschlachten entspringt und zugleich im Bezirk derjenigen Metaphysik Fuß faßt, die das Zeitalter bereits und wider sein Wissen bestimmt; das ist Nietzsches Lehre vom ‚Willen zur Macht’. Jünger übersetzt diesen aus der Überlieferung der deutschen Metaphysik seit Leibnitz vorbestimmten Titel durch den unserem Jahrhundert gemäßeren Namen ‚Arbeit’.« Im Januar 1940 ruft Heidegger gar an der Universität einen kleinen Kreis von Kollegen zusammen zu einer »Aussprache über Jünger«.

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Heidegger und die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger trafen sich in der kritischen Perzeption des technischen Zeitalters. Im Gegensatz zu Heidegger waren die Schriftsteller allerdings sensibler. Spätestens 1930 distanzierte sich Ernst Jünger deutlich von den Nationalsozialisten und tat alles, um den Anschein zu vermeiden, er würde mit dieser Bewegung sympathisieren. Heidegger blieb nicht nur jahrelang an der Seite der Nazis. Er legte in seinem dezisionistischen Überschwang auch Verhaltensweisen an den Tag, die bei den Jüngers undenkbar waren.

Daniel Morat untersucht in seiner monumentalen Doktorarbeit »Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920 - 1960« nicht nur das Verhältnis der Drei zueinander, sondern vielmehr deren Entwicklung vom Dezisionismus der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts zu einem Rückzug aus der politischen Aktivität.

Die Untersuchung ist eine wirkliche Fleißarbeit. Morat hat sich gründlich eingearbeitet und beleuchtet unterschiedliche Themenfelder, die letztlich ein Bild entstehen lassen. Er kennt die Literaturlage und weiß damit souverän umzugehen. Er berücksichtigt neueste Forschungsergebnisse und gewichtet nachvollziehbar. Soviel an Positivem.

Zu kritisieren ist, dass Morat letztlich nichts Neues bringt. Die einzelnen Unterkapitel sind informativ, - aber man erfährt nichts, was nicht woanders zu lesen wäre. Das ist die Krux des aktuellen Wissenschaftsbetriebs. Es wird von wissenschaftlichen Abschlussarbeiten heute nicht mehr verlangt, die Forschung voranzutreiben, Neues erarbeitet zu haben. Die Professoren begnügen sich mangels eigenen Überblicks damit, eine Zusammenfassung des veröffentlichten Forschungsstandes aus leicht gedrehtem Blickwinkel zu erhalten.

Morat hat sich ein äußerst spannendes Thema gewählt. Es steht an, sich dieser Frage ausführlich zu widmen. Aber seine Antworten scheinen der Fragestellung nicht ganz gewachsen. Untersucht man die Entwicklung Ernst Jüngers vom bekanntesten nationalistischen Publizisten der Zwischenkriegszeit zum Rückzug aus dem Feld des Politischen, so muss man den Begriff der Désinvolture problematisieren. Was meint Jünger genau damit und welche individuellen Erfahrungen haben ihn dort hinkommen lassen. Morat geht auf Schilderungen Jüngers in seinen Kriegstagebüchern ein, ist aber nicht in der Lage, diese substantiell zu reflektieren. Entscheidend in Jüngers Diarien ist auch das Weggelassene. Er schildert nicht den Kriegsverlauf, sondern trifft sich mit französischen Geistesmenschen und Ästheten. Hierzu hätte man bei Morats Themenstellung gern mehr gelesen.

Essentiell in diesem Zusammenhang ist die Figur des Dandys. Nikolaus Sombart sah in einer Eloge zum hundertsten Geburtstag Ernst Jüngers diesen als »Dandy im Forsthaus«. Und der Schriftsteller selbst hat in einigen süffisanten Tagebuchäußerungen dargestellt, es sei kein Fehler gewesen, sich als Nationalist, sondern sich überhaupt beteiligt zu haben. An anderer Stelle notiert Jünger, den Dandy kränke mehr, ästhetisch als politisch zu versagen. Jünger hat den Ur-Dandy Beau Brummell ebenso studiert, wie er sich ein Leben lang für den Exzentriker und großartigen Dandy Oscar Wilde interessierte. Diese schmalen Seitenpfade hat Morat nicht gesehen.

An mancher Stelle hätte man sich auch ein wenig mehr Differenzierungsvermögen und weniger political correctness gewünscht. Wenn Morat das westliche Nachkriegsdeutschland als »Tätergesellschaft« qualifiziert, so hat er den Anschluss an die Zeitgeschichtsforschung verpasst, die gerade dabei ist, sich aus dem dogmatisch-ideologischen Sumpf zu ziehen.

geschrieben am 27.07.2007 | 641 Wörter | 4119 Zeichen

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Rezension von

Jan Robert Weber

Von der Tat zur Gelassenheit. Daniel Morat hat mit seiner Dissertation „Von der Tat zur Gelassenheit“ einen voluminösen Band über die Entwicklung konservativen Denkens im 20. Jahrhundert vorgelegt, wobei er sich auf den Philosophen Heidegger und die Schriftsteller-Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger beschränkt. Die These lautet, dass sich die drei ‚Denker’ in den Weimarer Jahren einem nationalistisch-voluntaristischen Aktivismus verschrieben, dann auf Hitlers Machtübernahme mehr oder weniger schnell mit einem Abschied von der ‚Tat’ reagierten, den sie schließlich in den späten 1940er und 1950er Jahren mit einer Philosophie des ‚Wartens’ vertieften bzw. einer Haltung der ‚Gelassenheit’ kultivierten. Diese Entwicklung des ‚Denkens’ bei den Brüdern Jünger und bei Heidegger ist nach Morat ein „Fallbeispiel für die Transformation des intellektuellen Konservatismus im 20. Jahrhundert“, an dem die konstatierte Deradikalisierung als Folge einer Desillusionierung durch das NS-Regime erscheint. Die These leuchtet ein. Wegweisend ist zudem, dass Morat seine Studie durch eine Vielzahl vor allem unveröffentlichter Quellen belegt hat. Stimmig ist es auch, in der ostentativen Haltung der Weltabgewandtheit eine Form der Netzwerkbildung zu erkennen, die Heidegger insbesondere in der Bayerischen Akademie der Künste betrieb, Ernst Jünger hingegen mittels Korrespondenz und Privatdrucken in seinem Leserkreis. Außerdem wird deutlich, dass auch nach 1945 weder Heidegger noch die Brüder Jünger als liberale Demokraten dachten, sondern ihre unpolitische Haltung des Wartens auf eine ‚Rückkehr der Götter’ bzw. auf ein neues ‚Erdzeitalter’ mit kulturkonservativer Kritik an der Technik sowie der Modernisierung verbanden – und aus der Distanz die westliche Zivilisation als defizitär beschrieben. Damit wurden sie zu Vertretern eines „protoökologischen Denkens“, das allerdings erst in den 1970er Jahren in der bundesrepublikanischen Linken zur politisch schlagkräftigen Idee entwickelt wurde, während der technokratische Konservatismus der 1950er und 1960er Jahre ohne Heidegger und die Jüngers auskam. Auch im bundesrepublikanischen Konservatismus waren Heidegger und die Brüder Jünger also Außenseiter. Warum die drei ‚Denker’ dann allerdings mit ihrem nach 1933 bzw. 1945 erschienenen Werken „Stichwortgeber“ der heutigen Neuen Rechten sein sollen, dafür bleibt Morat eine plausible Erklärung schuldig. Er konterkariert damit unnötig seine eigene Argumentation, die Drei hätten sich von der ‚Tat’ zur ‚Gelassenheit’ gewandelt. Nur weil Heidegger und die Brüder Jünger nach 1945 „zum Ausstieg aus der bundesrepublikanischen Gesellschaft einluden“, gehören sie nicht zu Vordenkern der Neuen Rechten. Als ‚Stichwortgeber’ der europäischen Neuen Rechten wären an erster Stelle Franzosen wie Alain de Benoit, dann Deutsche wie Arnold Gehlen und Carl Schmitt zu nennen, also Vertreter des technokratischen Konservatismus, von denen Morats ‚Fallbeispiele’ sich gerade abwandten. Nicht zuletzt: Das Werk Friedrich Georg Jüngers ist auch auf der so genannten Neuen Rechten nie beachtet worden, Ernst Jünger wird dort vor allem als Weimarer Demokratiefeind geschätzt, also auf sein nationalrevolutionäres Frühwerk reduziert, und Heidegger ist rechtsradikalem Denken stets ein Rätsel geblieben. Ebenso wenig überzeugt es, Heideggers Philosophem der ‚Seinsverlassenheit’ sowie Ernst Jüngers metaphysisch gestimmte Modernekritik eine biographisch motivierte „Vergangenheitsbearbeitung“ zu nennen, die einer „Schuldbedeckung“ oder „Schuldvermeidung“ gleichkomme, so dass einer „Nivellierung“, „Relativierung“ oder „Entdifferenzierung“ der NS-Zeit und vor allem des Holocaust Vorschub geleistet werde. Um bei Ernst Jünger zu bleiben: In dessen Schrift „Der Friede“ (vor Kriegsende verfasst, kurz nach Kriegsende im Ausland veröffentlicht) heißt es über die Völkermorde im Zweiten Weltkrieg: „Das wird für ferne Zeiten ein Schandfleck unseres Jahrhunderts bleiben, und keinen wird man achten können, dem Herz und Auge fehlten für das, was dort geschah. […] Die Schuld, die man den Unglückseligen zum Vorwurf machte, war einzig das Verbrechen ihres Daseins, das Stigma der Geburt. Sie fielen als Söhne ihres Volkes, ihrer Väter, ihrer Rasse, als Geiseln, als Bekenner ererbten Glaubens oder als Träger ihrer Überzeugung, die über Nacht erfundene Gesetze zum Makel stempelten.“ Nicht nur aufgrund dieser doch recht eindeutigen Passage ist Morat die Frage zu stellen, ob nicht gerade Ernst Jünger mit der heutigen Gedenkkultur mehr verbindet als trennt? Man könnte es eine Schwäche nennen, dass der Historiker Morat alle literarischen und philosophischen Texte seiner Protagonisten als Quellen für seine im Grunde überzeugende These verwendet. So überliest er häufig die eigentliche Qualität der Werke. Aber die Unbekümmertheit um Literarizität und philosophische ‚Tiefe’ ist zugleich die große Stärke des Bandes. Der Leser kann so Schritt für Schritt die Entwicklung Heideggers und der Brüder Jünger nachvollziehen, die die drei konservativen ‚Denker’ aus ihrem irrgängigen politischen Engagement herausführte. Mit Morats „Von der Tat zur Gelassenheit“ liegt für die Geistesgeschichte des Konservatismus ein historiographisches Standardwerk vor.

Daniel Morat hat mit seiner Dissertation „Von der Tat zur Gelassenheit“ einen voluminösen Band über die Entwicklung konservativen Denkens im 20. Jahrhundert vorgelegt, wobei er sich auf den Philosophen Heidegger und die Schriftsteller-Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger beschränkt. Die These lautet, dass sich die drei ‚Denker’ in den Weimarer Jahren einem nationalistisch-voluntaristischen Aktivismus verschrieben, dann auf Hitlers Machtübernahme mehr oder weniger schnell mit einem Abschied von der ‚Tat’ reagierten, den sie schließlich in den späten 1940er und 1950er Jahren mit einer Philosophie des ‚Wartens’ vertieften bzw. einer Haltung der ‚Gelassenheit’ kultivierten. Diese Entwicklung des ‚Denkens’ bei den Brüdern Jünger und bei Heidegger ist nach Morat ein „Fallbeispiel für die Transformation des intellektuellen Konservatismus im 20. Jahrhundert“, an dem die konstatierte Deradikalisierung als Folge einer Desillusionierung durch das NS-Regime erscheint.

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Die These leuchtet ein. Wegweisend ist zudem, dass Morat seine Studie durch eine Vielzahl vor allem unveröffentlichter Quellen belegt hat. Stimmig ist es auch, in der ostentativen Haltung der Weltabgewandtheit eine Form der Netzwerkbildung zu erkennen, die Heidegger insbesondere in der Bayerischen Akademie der Künste betrieb, Ernst Jünger hingegen mittels Korrespondenz und Privatdrucken in seinem Leserkreis. Außerdem wird deutlich, dass auch nach 1945 weder Heidegger noch die Brüder Jünger als liberale Demokraten dachten, sondern ihre unpolitische Haltung des Wartens auf eine ‚Rückkehr der Götter’ bzw. auf ein neues ‚Erdzeitalter’ mit kulturkonservativer Kritik an der Technik sowie der Modernisierung verbanden – und aus der Distanz die westliche Zivilisation als defizitär beschrieben. Damit wurden sie zu Vertretern eines „protoökologischen Denkens“, das allerdings erst in den 1970er Jahren in der bundesrepublikanischen Linken zur politisch schlagkräftigen Idee entwickelt wurde, während der technokratische Konservatismus der 1950er und 1960er Jahre ohne Heidegger und die Jüngers auskam. Auch im bundesrepublikanischen Konservatismus waren Heidegger und die Brüder Jünger also Außenseiter.

Warum die drei ‚Denker’ dann allerdings mit ihrem nach 1933 bzw. 1945 erschienenen Werken „Stichwortgeber“ der heutigen Neuen Rechten sein sollen, dafür bleibt Morat eine plausible Erklärung schuldig. Er konterkariert damit unnötig seine eigene Argumentation, die Drei hätten sich von der ‚Tat’ zur ‚Gelassenheit’ gewandelt. Nur weil Heidegger und die Brüder Jünger nach 1945 „zum Ausstieg aus der bundesrepublikanischen Gesellschaft einluden“, gehören sie nicht zu Vordenkern der Neuen Rechten. Als ‚Stichwortgeber’ der europäischen Neuen Rechten wären an erster Stelle Franzosen wie Alain de Benoit, dann Deutsche wie Arnold Gehlen und Carl Schmitt zu nennen, also Vertreter des technokratischen Konservatismus, von denen Morats ‚Fallbeispiele’ sich gerade abwandten. Nicht zuletzt: Das Werk Friedrich Georg Jüngers ist auch auf der so genannten Neuen Rechten nie beachtet worden, Ernst Jünger wird dort vor allem als Weimarer Demokratiefeind geschätzt, also auf sein nationalrevolutionäres Frühwerk reduziert, und Heidegger ist rechtsradikalem Denken stets ein Rätsel geblieben.

Ebenso wenig überzeugt es, Heideggers Philosophem der ‚Seinsverlassenheit’ sowie Ernst Jüngers metaphysisch gestimmte Modernekritik eine biographisch motivierte „Vergangenheitsbearbeitung“ zu nennen, die einer „Schuldbedeckung“ oder „Schuldvermeidung“ gleichkomme, so dass einer „Nivellierung“, „Relativierung“ oder „Entdifferenzierung“ der NS-Zeit und vor allem des Holocaust Vorschub geleistet werde. Um bei Ernst Jünger zu bleiben: In dessen Schrift „Der Friede“ (vor Kriegsende verfasst, kurz nach Kriegsende im Ausland veröffentlicht) heißt es über die Völkermorde im Zweiten Weltkrieg: „Das wird für ferne Zeiten ein Schandfleck unseres Jahrhunderts bleiben, und keinen wird man achten können, dem Herz und Auge fehlten für das, was dort geschah. […] Die Schuld, die man den Unglückseligen zum Vorwurf machte, war einzig das Verbrechen ihres Daseins, das Stigma der Geburt. Sie fielen als Söhne ihres Volkes, ihrer Väter, ihrer Rasse, als Geiseln, als Bekenner ererbten Glaubens oder als Träger ihrer Überzeugung, die über Nacht erfundene Gesetze zum Makel stempelten.“ Nicht nur aufgrund dieser doch recht eindeutigen Passage ist Morat die Frage zu stellen, ob nicht gerade Ernst Jünger mit der heutigen Gedenkkultur mehr verbindet als trennt?

Man könnte es eine Schwäche nennen, dass der Historiker Morat alle literarischen und philosophischen Texte seiner Protagonisten als Quellen für seine im Grunde überzeugende These verwendet. So überliest er häufig die eigentliche Qualität der Werke. Aber die Unbekümmertheit um Literarizität und philosophische ‚Tiefe’ ist zugleich die große Stärke des Bandes. Der Leser kann so Schritt für Schritt die Entwicklung Heideggers und der Brüder Jünger nachvollziehen, die die drei konservativen ‚Denker’ aus ihrem irrgängigen politischen Engagement herausführte. Mit Morats „Von der Tat zur Gelassenheit“ liegt für die Geistesgeschichte des Konservatismus ein historiographisches Standardwerk vor.

geschrieben am 30.12.2007 | 707 Wörter | 4498 Zeichen

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