Navigation

Seiten der Rubrik "Bücher"


Google Anzeigen

Anzeigen

Bücher

Heinrich Brüning (1885-1970) – Nationalist ohne Heimat


Statistiken
  • 7853 Aufrufe

Informationen zum Buch
  ISBN
  Autor
  Verlag
  Sprache
  Seiten
  Erscheinungsjahr
  Extras

Rezension von

Max Bloch

Heinrich Brüning (1885-1970) – Nationalist ohne Heimat Heinrich Brünings Kanzlerschaft (1930-32) ist umstritten wie eh und je. Dabei kreist alles um die Frage, ob Brüning als (verpasste) letzte Chance der Weimarer Republik oder aber als „autoritärer Steigbügelhalter“ Hitlers zu verstehen ist, ob er, wie von ihm selbst behauptet, „auf den letzten hundert Metern“ von unverantwortlichen Gegnern zu Fall gebracht worden sei oder nicht doch eher an seiner Unfähigkeit zu einer mehrheitsfähigen Politik folgerichtig gescheitert ist. Der Kontroverse zwischen Bracher und Conze in den 1950er Jahren und den (teilweise heftigen) Auseinandersetzungen um die Authentizität seiner Memoiren in den 1970er Jahren scheint nun ein neu aufgelegter Streit zwischen den Brüning-Biographen Herbert Hömig (2000/2005) und Peer Oliver Volkmann (2007) zu folgen, dessen „politische Teilbiographie“ sich vor allem der Exilzeit des ehemaligen Reichskanzlers und seinen ambitioniert zu nennenden Selbstrechtfertigungs- und Selbststilisierungsversuchen widmet. Volkmann zeichnet Brüning – kritischer als Hömig – als einen nationalkonservativen Katholiken (der er fraglos war), einen grundsätzlichen Gegner der parlamentarischen Demokratie und – vor allem in den späteren Jahren – als einen „hemmungslosen Nationalisten“. Hierbei kann sich Volkmann auf einen wahren (in amerikanischen Archiven geborgenen) Schatz bislang unbekannter Quellen stützen, die vor allem eines zu Tage fördern: die Zerrissenheit des emigrierten Patrioten, den „inneren Konflikt“, von dem Brüning sprach, zwischen seiner patriotischen Verantwortung und seinen Versuchen, Deutschland von den Nazis zu befreien und als Großmacht neu zu gründen. Sich selbst hat er, wenn man Volkmann folgt, durchaus für künftige Aufgaben bereitgehalten, worin einer der Gründe für sein – vielfach angegriffenes, doch kontinuierlich durchgehaltenes – „Schweigen“ zu den nationalsozialistischen Verbrechen liegt. Als Verbindungsmann des konservativen Widerstands um Goerdeler zu amerikanischen Stellen versuchte er Einfluss zu nehmen und – nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten – die Roosevelt-Administration für einen „soft peace“ zu gewinnen. Der tatsächlich erreichte Einfluss auf die amerikanische Politik wird von Volkmann auf das rechte (und recht bescheidene) Maß zurückgeführt. Brünings unzweifelhaft antinazistische Haltung hinderte ihn aber nicht, sich während des Krieges in „nationalist passion and egocentric resentment“ hineinzusteigern, wie ein US-Geheimdienstbericht 1943 vermerkt. Die Verantwortung für die nationalsozialistische Katastrophe wies er dabei nicht dem deutschen Volk, sondern den westlichen Demokratien zu, die, allzu lange zögerlich, die Expansionspolitik der nationalsozialistischen Führung sanktionslos hingenommen hätten, nur um nach Kriegsbeginn ihr politisches Versagen durch antideutsche Vernichtungsphantasien (Morgenthau-Plan) zu kompensieren. Schuldabwehr und Schuldzuweisung sind die bezeichnenden Konstanten seiner politischen Korrespondenz, wobei Brüning, wie Volkmann schreibt, die zum Kriege treibende und „fundamentalistische Basis“ des Nationalsozialismus ebenso wie die Monstrosität des Holocaust nie recht erfasst habe oder erfassen wollte. Die beherzten (letztlich aber erfolglosen) Rettungsversuche für die sozialdemokratischen Flüchtlinge Hilferding und Breitscheid zeugen gleichwohl von einer (mit-)menschlichen Ader, die von der Kühle des strengen Staatsmanns allzu leicht verdeckt werden konnte. Nach Deutschland zurückgekehrt, profilierte sich Brüning – ähnlich wie die ehemaligen Reichskanzler Marx und Luther – als „nationalkonservativer Gegner der Politik der Westintegration und Europäisierung“, die für ihn gleichbedeutend mit dauerndem Verzicht auf die Ostgebiete und somit eine verantwortungslose Festlegung, ja Fesselung der deutschen Geschicke an die Westmächte war. Deutschland, so der unberufene Ratgeber, müsse sich seine außenpolitische Handlungsfreiheit bewahren und – wie in den 20er Jahren – zwischen den Staaten lavieren. Dem Neutralismus, der sich als überparteiliche Koalition gegen Adenauer in Stellung brachte (Kaiser, Heinemann, Dehler, Ollenhauer), bescheinigt Volkmann – durchaus zu Recht – Wunschdenken und Blindheit gegenüber den politischen Realitäten und den bescheidenen Gestaltungsspielräumen, die dem geschlagenen Deutschland im Zeitalter der Blockkonfrontation verblieben waren. In seiner Brüning-Biographie spiegelt sich mithin auch der Geltungsverlust des politischen Konservativismus borussischer Prägung, der mit der Welt nach 1945 nicht mehr in Einklang zu bringen war und sich in Verbitterung und Resignation flüchtete. Von Adenauer und seinem, in Materialismus versumpften, Volk enttäuscht, emigrierte Brüning 1954 erneut und diesmal endgültig. Er verstarb am 30. März 1970 – auf den Tag genau 40 Jahre nach seiner Berufung zum Reichskanzler – in Norwich, Vermont. Die Stärken dieser Biographie liegen in der umsichtigen und urteilssicheren Auswertung der Quellen, aus denen – und dies ist die Kehrseite – allerdings uferlos zitiert wird. Wurde der zweibändigen Brüning-Biographie Hömigs bereits entgegengehalten, dass weniger manchmal mehr sei, so ist zu Volkmanns Werk zu sagen, dass eine stärkere Straffung seiner Arbeit, der Verzicht auf das ein oder andere Wortlautprotokoll und damit auch auf manche Redundanzen der Lesbarkeit und Verbreitung seiner Studie nur förderlich gewesen wäre. Bei alledem ist die Vehemenz, mit der er die – im heutigen Wortsinne – „demokratische“ Grundhaltung konservativer Akteure auch und gerade des Widerstands gegen Hitler und des Exils in Frage stellt oder verneint, zwar berechtigt. Aber sie verengt die historische Perspektive auf eine (ex post bequeme) Alternative „Nationalsozialismus oder parlamentarische Demokratie“, die so – angesichts eines sich selbst paralysierenden und in seiner Mehrheit staatsfeindlichen Reichstags – gar nicht bestanden hat. Durch seine Ausführungen über Brünings weltanschauliche Hintergründe, seine Verbindungen zur sogenannten Konservativen Revolution, sein Bekenntnis zu einer „organischen“ (respektive „deutschen“) als Gegenmodell zur „formalistischen“ (sprich: parlamentarischen) Demokratie und nicht zuletzt durch die Offenlegung seiner antisemitischen Anflüge hat Volkmann der Forschung neue und wichtige Impulse gegeben und damit einen wertvollen Beitrag zu einer (bis heute) spannenden Diskussion geleistet.

Heinrich Brünings Kanzlerschaft (1930-32) ist umstritten wie eh und je. Dabei kreist alles um die Frage, ob Brüning als (verpasste) letzte Chance der Weimarer Republik oder aber als „autoritärer Steigbügelhalter“ Hitlers zu verstehen ist, ob er, wie von ihm selbst behauptet, „auf den letzten hundert Metern“ von unverantwortlichen Gegnern zu Fall gebracht worden sei oder nicht doch eher an seiner Unfähigkeit zu einer mehrheitsfähigen Politik folgerichtig gescheitert ist. Der Kontroverse zwischen Bracher und Conze in den 1950er Jahren und den (teilweise heftigen) Auseinandersetzungen um die Authentizität seiner Memoiren in den 1970er Jahren scheint nun ein neu aufgelegter Streit zwischen den Brüning-Biographen Herbert Hömig (2000/2005) und Peer Oliver Volkmann (2007) zu folgen, dessen „politische Teilbiographie“ sich vor allem der Exilzeit des ehemaligen Reichskanzlers und seinen ambitioniert zu nennenden Selbstrechtfertigungs- und Selbststilisierungsversuchen widmet. Volkmann zeichnet Brüning – kritischer als Hömig – als einen nationalkonservativen Katholiken (der er fraglos war), einen grundsätzlichen Gegner der parlamentarischen Demokratie und – vor allem in den späteren Jahren – als einen „hemmungslosen Nationalisten“.

Hierbei kann sich Volkmann auf einen wahren (in amerikanischen Archiven geborgenen) Schatz bislang unbekannter Quellen stützen, die vor allem eines zu Tage fördern: die Zerrissenheit des emigrierten Patrioten, den „inneren Konflikt“, von dem Brüning sprach, zwischen seiner patriotischen Verantwortung und seinen Versuchen, Deutschland von den Nazis zu befreien und als Großmacht neu zu gründen. Sich selbst hat er, wenn man Volkmann folgt, durchaus für künftige Aufgaben bereitgehalten, worin einer der Gründe für sein – vielfach angegriffenes, doch kontinuierlich durchgehaltenes – „Schweigen“ zu den nationalsozialistischen Verbrechen liegt. Als Verbindungsmann des konservativen Widerstands um Goerdeler zu amerikanischen Stellen versuchte er Einfluss zu nehmen und – nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten – die Roosevelt-Administration für einen „soft peace“ zu gewinnen. Der tatsächlich erreichte Einfluss auf die amerikanische Politik wird von Volkmann auf das rechte (und recht bescheidene) Maß zurückgeführt.

Brünings unzweifelhaft antinazistische Haltung hinderte ihn aber nicht, sich während des Krieges in „nationalist passion and egocentric resentment“ hineinzusteigern, wie ein US-Geheimdienstbericht 1943 vermerkt. Die Verantwortung für die nationalsozialistische Katastrophe wies er dabei nicht dem deutschen Volk, sondern den westlichen Demokratien zu, die, allzu lange zögerlich, die Expansionspolitik der nationalsozialistischen Führung sanktionslos hingenommen hätten, nur um nach Kriegsbeginn ihr politisches Versagen durch antideutsche Vernichtungsphantasien (Morgenthau-Plan) zu kompensieren. Schuldabwehr und Schuldzuweisung sind die bezeichnenden Konstanten seiner politischen Korrespondenz, wobei Brüning, wie Volkmann schreibt, die zum Kriege treibende und „fundamentalistische Basis“ des Nationalsozialismus ebenso wie die Monstrosität des Holocaust nie recht erfasst habe oder erfassen wollte. Die beherzten (letztlich aber erfolglosen) Rettungsversuche für die sozialdemokratischen Flüchtlinge Hilferding und Breitscheid zeugen gleichwohl von einer (mit-)menschlichen Ader, die von der Kühle des strengen Staatsmanns allzu leicht verdeckt werden konnte.

Nach Deutschland zurückgekehrt, profilierte sich Brüning – ähnlich wie die ehemaligen Reichskanzler Marx und Luther – als „nationalkonservativer Gegner der Politik der Westintegration und Europäisierung“, die für ihn gleichbedeutend mit dauerndem Verzicht auf die Ostgebiete und somit eine verantwortungslose Festlegung, ja Fesselung der deutschen Geschicke an die Westmächte war. Deutschland, so der unberufene Ratgeber, müsse sich seine außenpolitische Handlungsfreiheit bewahren und – wie in den 20er Jahren – zwischen den Staaten lavieren. Dem Neutralismus, der sich als überparteiliche Koalition gegen Adenauer in Stellung brachte (Kaiser, Heinemann, Dehler, Ollenhauer), bescheinigt Volkmann – durchaus zu Recht – Wunschdenken und Blindheit gegenüber den politischen Realitäten und den bescheidenen Gestaltungsspielräumen, die dem geschlagenen Deutschland im Zeitalter der Blockkonfrontation verblieben waren. In seiner Brüning-Biographie spiegelt sich mithin auch der Geltungsverlust des politischen Konservativismus borussischer Prägung, der mit der Welt nach 1945 nicht mehr in Einklang zu bringen war und sich in Verbitterung und Resignation flüchtete. Von Adenauer und seinem, in Materialismus versumpften, Volk enttäuscht, emigrierte Brüning 1954 erneut und diesmal endgültig. Er verstarb am 30. März 1970 – auf den Tag genau 40 Jahre nach seiner Berufung zum Reichskanzler – in Norwich, Vermont.

Die Stärken dieser Biographie liegen in der umsichtigen und urteilssicheren Auswertung der Quellen, aus denen – und dies ist die Kehrseite – allerdings uferlos zitiert wird. Wurde der zweibändigen Brüning-Biographie Hömigs bereits entgegengehalten, dass weniger manchmal mehr sei, so ist zu Volkmanns Werk zu sagen, dass eine stärkere Straffung seiner Arbeit, der Verzicht auf das ein oder andere Wortlautprotokoll und damit auch auf manche Redundanzen der Lesbarkeit und Verbreitung seiner Studie nur förderlich gewesen wäre. Bei alledem ist die Vehemenz, mit der er die – im heutigen Wortsinne – „demokratische“ Grundhaltung konservativer Akteure auch und gerade des Widerstands gegen Hitler und des Exils in Frage stellt oder verneint, zwar berechtigt. Aber sie verengt die historische Perspektive auf eine (ex post bequeme) Alternative „Nationalsozialismus oder parlamentarische Demokratie“, die so – angesichts eines sich selbst paralysierenden und in seiner Mehrheit staatsfeindlichen Reichstags – gar nicht bestanden hat. Durch seine Ausführungen über Brünings weltanschauliche Hintergründe, seine Verbindungen zur sogenannten Konservativen Revolution, sein Bekenntnis zu einer „organischen“ (respektive „deutschen“) als Gegenmodell zur „formalistischen“ (sprich: parlamentarischen) Demokratie und nicht zuletzt durch die Offenlegung seiner antisemitischen Anflüge hat Volkmann der Forschung neue und wichtige Impulse gegeben und damit einen wertvollen Beitrag zu einer (bis heute) spannenden Diskussion geleistet.

geschrieben am 14.04.2008 | 828 Wörter | 5538 Zeichen

Kommentare lesen Kommentar schreiben

Kommentare zur Rezension (0)

Platz für Anregungen und Ergänzungen