Navigation

Seiten der Rubrik "Bücher"


Google Anzeigen

Anzeigen

Bücher

Landsknechte auf dem Weg ins Dritte Reich?


Statistiken
  • 12928 Aufrufe

Informationen zum Buch
  ISBN
  Autor
  Verlag
  Sprache
  Seiten
  Erscheinungsjahr
  Extras

Rezension von

Max Bloch

Landsknechte auf dem Weg ins Dritte Reich? Die Eroberung Rigas und Niederwerfung der Münchner Räterepublik im Mai 1919, der Sieg über die Rote Ruhrarmee im April 1920, die Erstürmung des Annaberges im Mai 1921 und schließlich der aktive Widerstand im besetzten Ruhrgebiet 1923 – die Geschichte des deutschen „Nachkriegs“ ist unweigerlich mit der Geschichte der Freikorps verbunden, die, mythenumrankt und geheimnisumwittert, als eine Art „Feuerwehrtruppe“ überall da eingesetzt wurden, wo Gefahr winkte, Abenteuer lockte und Ehre zu erringen war. Während Adolf Hitler in „Mein Kampf“ gerade das Derb-Draufgängerische der Freikorpsbewegung als einen im Kern unpolitischen „Landsknechtsdienst“ für die verhasste Weimarer Republik, ja als gewinnsüchtiges Söldnertum abqualifizierte, ist es indes bemerkenswert, dass erstens nach 1933/34 die Freikorps dezidiert in die Traditionen des Nationalsozialismus mythologisch eingebettet wurden, ihnen mithin eine Vorreiter- und Wegbereiterrolle angemaßt wurde, und dass zweitens dieser Mythos eigentlich bis heute anhält. Wie wirkmächtig der Freikorpsmythos in seiner je eigenen Ausprägung war: als kriegslustige Landsknechtsschar, als Söldner- oder als politisches Soldatentum, erhellt schon allein aus der Fülle der Freikorpsliteratur. Matthias Sprenger hat in seiner 223 Seiten umfassenden Dissertation insgesamt 108 die Freikorpsthematik berührende Erinnerungs- und Romanwerke auf ihre mythenbildende Kraft hin abgeklopft und ausgewertet. Das allein ist schon eine imponierende Leistung, aus der – nach Hagen Schulzes eher organisationsgeschichtlich angelegter Untersuchung von 1969 und zahlreichen sich daran anschließenden wissenschaftlich zweifelhaften apologetischen Schriften – eine erste mythenkritische „Monographie der Freikorpserinnerungsliteratur der Weimarer Republik und des Dritten Reiches“ hervorgegangen ist. Sichtbar wird, dass es „die“ Freikorpsbewegung eigentlich nicht gegeben hat, dass sie seitens der untersuchten Autoren – in der Regel ehemalige Freikorpskämpfer – unterschiedlichsten Deutungen unterworfen war und dass die Haltung des Autors zum Nationalsozialismus in der Regel diese Deutungen bestimmt. Viele der untersuchten Autoren haben denn auch nach 1933/34 ihre Erinnerungen überarbeitet, d.h. den neuen Umständen angepasst und das Landknechtshafte zugunsten des Soldatischen, das Abenteuerliche zugunsten des Nationalen geglättet. Das galt vor allem in Folge der Entmachtung der SA, als jede Reverenz an eine burleske Bürgerkriegsarmee sich verbot. Erinnert wurde nun nicht mehr an den rauen Haufen, sondern an im nationalsozialistischen Sinne vorbildliches Soldatentum, das sich vor allem mit dem Namen des 1923 von den Franzosen hingerichteten Freikorpskämpfers Albert Leo Schlageter verband. Ungeachtet der Tatsache, dass Hitler selbst zur Zeit der Ruhrbesetzung jeden Widerstand gegen die Besatzer verneint hatte und Zuwiderhandlungen mit dem Parteiausschluss geahndet wissen wollte, wurde Schlageter nun als der „erste Soldat des Dritten Reiches“ politisch vereinnahmt und mythologisch in die Ahnenreihe des Nationalsozialismus eingegliedert. So zeigt sich an diesem Beispiel klar, dass der beste Weg zum „Mythos“ in der „Komplexitätsreduktion“ besteht. Die meisten der untersuchten Autoren – so ist zu sagen – haben sich dieser Deutung angeschlossen. Viele sahen im Nationalsozialismus tatsächlich den Sieg auch ihrer Kämpfe, und einige, wie Manfred von Killinger, übernahmen zumindest kurzfristig führende Positionen im Dritten Reich. Andere, wie vor allem Ernst von Salomon, dessen im Gefängnis verfasstes Freikorpsbuch „Die Geächteten“ (1930) bis heute eine literarisch anspruchsvolle und für das Verständnis der Freikorpsbewegung aufschlussreiche Quelle geblieben ist, versuchten dennoch, die Erinnerung an die Freikorps von den nationalsozialistischen Vereinnahmungsversuchen möglichst frei zu halten, ohne in direkten Konflikt mit Regime und Zensurbehörden zu geraten. Wieder andere, wie Friedrich Wilhelm Heinz, wandten die konspirativen Methoden der rechtsradikalen Verschwörergruppen nun dezidiert gegen Hitler und fanden so in die Nähe der Widerstandsbewegung des 20. Juli. (An dieser Stelle sei auf Susanne Meinls hervorragende Studie „Nationalsozialisten gegen Hitler“ verwiesen.) Der „Held“ vom Annaberg, Hauptmann Beppo Römer, Führer des Freikorps „Oberland“, wurde wegen seiner Nähe zur KPD aus den Erinnerungsbüchern getilgt und 1944 nach langer Lagerhaft ermordet. Der „rote Graf“ Stenbock-Fermor sah in der DDR sein Lebensziel, während Hans Constantin Paulssen, ehemaliger Führer des gleichnamigen Freikorps, als Arbeitgeberpräsident in der Bundesrepublik Karriere machte. Gerade das Vielgestaltige der Freikorpsbewegung hat Matthias Sprenger in seiner klar strukturierten und vor allem quellenkritischen Arbeit herausgearbeitet und so einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des politischen Mythos vorgelegt. Wenn er den preußischen Innenminister, der eine Schlosserlehre absolviert und eine akademische Karriere niemals angetreten hatte, als „Dr. Carl Severing“ vorstellt und an anderer Stelle von der nationalsozialistischen „Bewegung“ im Jahre 1921 spricht, zu einem Zeitpunkt, als die NSDAP noch kaum über ihre sektenartigen Anfänge hinausgewachsen war, so sind das Quisquilien angesichts der überaus profunden und schlüssigen Recherche- und Darstellungsarbeit, die zu ähnlichen Forschungen einlädt. Eventuell würde sich eine – sicherlich nicht ganz unkomplizierte – vergleichende Studie mit den Internationalen Brigaden des Spanischen Bürgerkrieges anbieten und lohnen. Auch hier standen Idealismus und Abenteurertum fast unentwirrbar beieinander, und auch hier sahen sich die Kombattanten fürderhin Vereinnahmungsstrategien ausgesetzt, die den Spanischen Bürgerkrieg als heroische Etappe in die weltrevolutionäre Meistererzählung aufzunehmen sich anschickten. So wie nicht alle Spanienkämpfer im kommunistischen Osteuropa die Materialisierung ihrer Träume erblickten, so ist auch der Nationalsozialismus nicht als Endziel der Freikorpsbewegung zu werten. Dies zu glauben, hieße seinen eigenen Mythen auf den Leim gehen.

Die Eroberung Rigas und Niederwerfung der Münchner Räterepublik im Mai 1919, der Sieg über die Rote Ruhrarmee im April 1920, die Erstürmung des Annaberges im Mai 1921 und schließlich der aktive Widerstand im besetzten Ruhrgebiet 1923 – die Geschichte des deutschen „Nachkriegs“ ist unweigerlich mit der Geschichte der Freikorps verbunden, die, mythenumrankt und geheimnisumwittert, als eine Art „Feuerwehrtruppe“ überall da eingesetzt wurden, wo Gefahr winkte, Abenteuer lockte und Ehre zu erringen war. Während Adolf Hitler in „Mein Kampf“ gerade das Derb-Draufgängerische der Freikorpsbewegung als einen im Kern unpolitischen „Landsknechtsdienst“ für die verhasste Weimarer Republik, ja als gewinnsüchtiges Söldnertum abqualifizierte, ist es indes bemerkenswert, dass erstens nach 1933/34 die Freikorps dezidiert in die Traditionen des Nationalsozialismus mythologisch eingebettet wurden, ihnen mithin eine Vorreiter- und Wegbereiterrolle angemaßt wurde, und dass zweitens dieser Mythos eigentlich bis heute anhält. Wie wirkmächtig der Freikorpsmythos in seiner je eigenen Ausprägung war: als kriegslustige Landsknechtsschar, als Söldner- oder als politisches Soldatentum, erhellt schon allein aus der Fülle der Freikorpsliteratur. Matthias Sprenger hat in seiner 223 Seiten umfassenden Dissertation insgesamt 108 die Freikorpsthematik berührende Erinnerungs- und Romanwerke auf ihre mythenbildende Kraft hin abgeklopft und ausgewertet. Das allein ist schon eine imponierende Leistung, aus der – nach Hagen Schulzes eher organisationsgeschichtlich angelegter Untersuchung von 1969 und zahlreichen sich daran anschließenden wissenschaftlich zweifelhaften apologetischen Schriften – eine erste mythenkritische „Monographie der Freikorpserinnerungsliteratur der Weimarer Republik und des Dritten Reiches“ hervorgegangen ist.

Sichtbar wird, dass es „die“ Freikorpsbewegung eigentlich nicht gegeben hat, dass sie seitens der untersuchten Autoren – in der Regel ehemalige Freikorpskämpfer – unterschiedlichsten Deutungen unterworfen war und dass die Haltung des Autors zum Nationalsozialismus in der Regel diese Deutungen bestimmt. Viele der untersuchten Autoren haben denn auch nach 1933/34 ihre Erinnerungen überarbeitet, d.h. den neuen Umständen angepasst und das Landknechtshafte zugunsten des Soldatischen, das Abenteuerliche zugunsten des Nationalen geglättet. Das galt vor allem in Folge der Entmachtung der SA, als jede Reverenz an eine burleske Bürgerkriegsarmee sich verbot. Erinnert wurde nun nicht mehr an den rauen Haufen, sondern an im nationalsozialistischen Sinne vorbildliches Soldatentum, das sich vor allem mit dem Namen des 1923 von den Franzosen hingerichteten Freikorpskämpfers Albert Leo Schlageter verband. Ungeachtet der Tatsache, dass Hitler selbst zur Zeit der Ruhrbesetzung jeden Widerstand gegen die Besatzer verneint hatte und Zuwiderhandlungen mit dem Parteiausschluss geahndet wissen wollte, wurde Schlageter nun als der „erste Soldat des Dritten Reiches“ politisch vereinnahmt und mythologisch in die Ahnenreihe des Nationalsozialismus eingegliedert. So zeigt sich an diesem Beispiel klar, dass der beste Weg zum „Mythos“ in der „Komplexitätsreduktion“ besteht.

Die meisten der untersuchten Autoren – so ist zu sagen – haben sich dieser Deutung angeschlossen. Viele sahen im Nationalsozialismus tatsächlich den Sieg auch ihrer Kämpfe, und einige, wie Manfred von Killinger, übernahmen zumindest kurzfristig führende Positionen im Dritten Reich. Andere, wie vor allem Ernst von Salomon, dessen im Gefängnis verfasstes Freikorpsbuch „Die Geächteten“ (1930) bis heute eine literarisch anspruchsvolle und für das Verständnis der Freikorpsbewegung aufschlussreiche Quelle geblieben ist, versuchten dennoch, die Erinnerung an die Freikorps von den nationalsozialistischen Vereinnahmungsversuchen möglichst frei zu halten, ohne in direkten Konflikt mit Regime und Zensurbehörden zu geraten. Wieder andere, wie Friedrich Wilhelm Heinz, wandten die konspirativen Methoden der rechtsradikalen Verschwörergruppen nun dezidiert gegen Hitler und fanden so in die Nähe der Widerstandsbewegung des 20. Juli. (An dieser Stelle sei auf Susanne Meinls hervorragende Studie „Nationalsozialisten gegen Hitler“ verwiesen.) Der „Held“ vom Annaberg, Hauptmann Beppo Römer, Führer des Freikorps „Oberland“, wurde wegen seiner Nähe zur KPD aus den Erinnerungsbüchern getilgt und 1944 nach langer Lagerhaft ermordet. Der „rote Graf“ Stenbock-Fermor sah in der DDR sein Lebensziel, während Hans Constantin Paulssen, ehemaliger Führer des gleichnamigen Freikorps, als Arbeitgeberpräsident in der Bundesrepublik Karriere machte.

Gerade das Vielgestaltige der Freikorpsbewegung hat Matthias Sprenger in seiner klar strukturierten und vor allem quellenkritischen Arbeit herausgearbeitet und so einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des politischen Mythos vorgelegt. Wenn er den preußischen Innenminister, der eine Schlosserlehre absolviert und eine akademische Karriere niemals angetreten hatte, als „Dr. Carl Severing“ vorstellt und an anderer Stelle von der nationalsozialistischen „Bewegung“ im Jahre 1921 spricht, zu einem Zeitpunkt, als die NSDAP noch kaum über ihre sektenartigen Anfänge hinausgewachsen war, so sind das Quisquilien angesichts der überaus profunden und schlüssigen Recherche- und Darstellungsarbeit, die zu ähnlichen Forschungen einlädt. Eventuell würde sich eine – sicherlich nicht ganz unkomplizierte – vergleichende Studie mit den Internationalen Brigaden des Spanischen Bürgerkrieges anbieten und lohnen. Auch hier standen Idealismus und Abenteurertum fast unentwirrbar beieinander, und auch hier sahen sich die Kombattanten fürderhin Vereinnahmungsstrategien ausgesetzt, die den Spanischen Bürgerkrieg als heroische Etappe in die weltrevolutionäre Meistererzählung aufzunehmen sich anschickten. So wie nicht alle Spanienkämpfer im kommunistischen Osteuropa die Materialisierung ihrer Träume erblickten, so ist auch der Nationalsozialismus nicht als Endziel der Freikorpsbewegung zu werten. Dies zu glauben, hieße seinen eigenen Mythen auf den Leim gehen.

geschrieben am 05.04.2009 | 790 Wörter | 5292 Zeichen

Kommentare lesen Kommentar schreiben

Kommentare zur Rezension (0)

Platz für Anregungen und Ergänzungen