Navigation

Seiten der Rubrik "Bücher"


Google Anzeigen

Anzeigen

Bücher

Ein Leben ohne Kinder – Kinderlosigkeit in Deutschland


Statistiken
  • 17888 Aufrufe

Informationen zum Buch
  ISBN
  Autoren
  Verlag
  Sprache
  Seiten
  Erscheinungsjahr
  Extras

Rezension von

Christoph Kramer

Ein Leben ohne Kinder – Kinderlosigkeit in Deutschland Die Herausgeber dieses Sammelbandes wollen sich mit ihrer „soziologischen Bestandsaufnahme“ zur Kinderlosigkeit in Deutschland von „Inhalt und Duktus“ der medialen Berichterstattung zum Thema abheben (wobei offenbar vor allem an die Berichterstattung zu den „40 Prozent“ kinderlosen Akademikerinnen gedacht ist). In der Einleitung (und auch in mehreren Beiträgen) finden sich kritische Reflektionen über die verfügbaren Daten zur Kinderlosigkeit, besonders zu den Erhebungsverfahren. Tatsächlich sind alle, die sich an der öffentlichen Debatte beteiligen, diesbezüglich auf Schätzungen und Näherungswerte angewiesen. Dies liegt vor allem an der „katholischen Statistik“ (Bernd Kittlaus) in Deutschland, die nur Geburten nach der Rangfolge eines bestehenden Haushalts (Mikrozensus) bzw. innerhalb einer bestehenden Ehe (Bevölkerungsstatistik) erfaßt, und nicht – wie in den meisten anderen Ländern – nach der biologischen Rangfolge. Während also der absolute Rückgang der Kinderzahlen unstreitig ist, läßt sich die Frage, in welchem Ausmaß Kinderlosigkeit bei einzelnen Bevölkerungsgruppen (etwa die vielbeschworenen Akademikerinnen) daran beteiligt ist, nur unter bestimmten Vorbehalten beantworten. Die Beiträge des Bandes sind in vier größere Sinneinheiten eingeteilt: europäischer Vergleich, strukturelle Aspekte (Bildung, Arbeitsmarkt), kulturelle bzw. mentale Aspekte sowie schließlich Erklärungs- und (implizit auch) Lösungsansätze. Im ersten Abschnitt zum europäischen Vergleich sticht der Beitrag von Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson vom Max Planck Institut für demografische Forschung heraus. Sie zeigen anhand der Situation in Schweden, daß die Bildungsrichtung für Kinderlosigkeit entscheidender ist, als das Bildungsniveau. Zwar steigen die Kinderlosenanteile der schwedischen Frauen in allen Bildungsrichtungen mit dem Bildungsniveau an, aber in sehr unterschiedlichen Größenordnungen. So ist etwa in der Kohorte 1955-59 der Anteil kinderloser Ärztinnen, Sonderschullehrerinnen und Zahnärztinnen mit Universitätsabschluß in etwa genauso hoch wie der Anteil kinderloser Reinigungskräfte, Textilarbeiterinnen und Postbeamtinnen, die nur die zweijährige Sekundarstufe absolviert haben. Auffällig ist, daß besonders die im Unterrichtswesen und im Gesundheitswesen beschäftigten Frauen auf allen Qualifizierungsstufen eine deutlich niedrigere Kinderlosigkeit aufweisen als ihre Geschlechtsgenossinnen in anderen Branchen. Am höchsten sind die Kinderlosenanteile unter Geisteswissenschaftlerinnen (ohne Lehramtsqualifikation), Bibliothekarinnen und Theologinnen. Der Beitrag von Katja Köppen (Max Planck Institut für demografische Forschung), Magali Mazuy (Universität Paris) und Laurent Toulemon (Institut national d’études démographiques Paris) befaßt sich mit der Kinderlosigkeit in Frankreich, die eine der niedrigsten in ganz Westeuropa ist, obwohl auch hier ein Anstieg zu beobachten ist. Erklärt wird die französische Situation mit dem gut ausgebauten Netz der Kinderbetreuung sowie dem System staatlicher Zuschüsse für Familien. Das seit 1994 eingeführte Erziehungsgeld für das zweite Kind und die seit 2004 bestehenden monetären Leitungen für das erste Kind hätten allerdings die Konsequenz gehabt, Frauen zumindest kurzfristig aus dem Berufsleben auszugliedern. Diese Angebote wurden v.a. von jungen und unqualifizierten Frauen angenommen, die in Frankreich überproportional häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Jürgen Dobritz und Kerstin Ruschdeckel (beide Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung) stellen die einschlägigen Daten zu Kinderlosigkeit in Deutschland im europäischen Vergleich dar und kommen zu dem Ergebnis, daß es in Deutschland eine „besondere Situation“, vielleicht sogar einen „europäischen Sonderweg“ gibt. Nirgends sonst (außer in der Schweiz) gibt es so hohe Kinderlosenanteile und einen so starken Anstiegstrend wie in Westdeutschland. Die Daten der „Population Policy Acceptance Study“ zeigen zudem, daß Kinderlosigkeit in Deutschland häufiger als in anderen Ländern ein bewußtes und gewolltes Lebenskonzept darstellt. Auch wenn die Daten nicht ganz eindeutig sind, zeigen sie doch einen übereinstimmenden Trend. Erklärt wird dieser Trend mit der familienpolitischen Situation in Westdeutschland, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwert, während relativ viel Geld in Ehe und Familie fließt. So konnte es zu einer Polarisierung zwischen kinderlosen berufstätigen Frauen und Familienmüttern kommen, wobei der Trend zur Entscheidung für Erwerbstätigkeit und gegen Kinder geht. In Ostdeutschland habe die pronatalistische Politik und der antiindividualistische Kollektivismus einer geschlossenen sozialistischen Gesellschaft dagegen die Tradition der Familienbildung aus den 60er Jahren indirekt bewahrt. Hier blieb es statt der westdeutschen Polarisierung bei einer starken gesamtgesellschaftlichen Orientierung auf die Zwei-Kind-Familie. Die Kinderlosenanteile scheinen sich allerdings in den jüngeren Jahrgängen denen Westdeutschlands anzugleichen. Bei der durchschnittlichen Kinderzahl pro gebärende Frau liegt Ostdeutschland allerdings zusammen mit Westdeutschland (für den Jahrgang 1965) auf den beiden letzten Plätzen in Europa. Im zweiten größeren Abschnitt des Sammelbandes zur „Sozialstruktur von Kinderlosigkeit in Ost- und Westdeutschland“ widmet sich Hildegard Schaeper (Hochschulinformationssystem Hannover) der Kinderlosigkeit von Hochschulabsolventinnen verschiedener Examenskohorten (1989, 1993, 1997 und 2003) im Ost-West-Vergleich. In beiden Landesteilen zeigt sich im Zeitverlauf ein zunehmender Trend zum Aufschub der Familiengründung nach dem Hochschulabschluß. Allerdings realisieren die Absolventinnen von ostdeutschen Hochschulen die Erstgeburt trotz Angleichungstendenzen immer noch signifikant schneller und häufiger als ihre westdeutschen Pendants, was Schaeper auf eine „Persistenz der ostdeutschen Geschlechterkultur“ zurückführt. Heike Wirth (Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen Mannheim) untersucht die Kinderlosigkeit von Hochqualifizierten „im Paarkontext“ und kommt zu dem Ergebnis, daß sich die reduzierte Neigung zur Familiengründung bei Hochqualifizierten im Kohortenvergleich verstärkt. Unterschiede gibt es dabei zwischen hypergamen (Mann höher qualifiziert als die Frau), homogamen (gleichhohe Qualifizierung) und hypogamen (Frau höher qualifiziert als der Mann) Paaren. Am geringsten ist Kinderlosigkeit bei hypergamen und am stärksten bei hypogamen Paaren ausgeprägt. Der Anteil hypogamer Beziehungen ist immerhin schon auf 30 Prozent angestiegen. Daneben sind vor allem der steigende Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften und die verstärkte Erwerbsbeteiligung der Frauen Faktoren, die mit der zunehmenden Kinderlosigkeit von Hochschulabsolventinnen korrelieren. Besonders hervorzuheben ist der Artikel von Michael Stegmann und Tatjana Mika (beide Forschungsdatenzentrum der Rentenversicherung). Sie untersuchen die Zusammenhänge von Elternschaft und Alterseinkommen für die Jahrgänge 1928 bis 1955 im Ost-West-Vergleich. Die zugrundeliegenden Daten (Scientific Use File „Rentenbestand 2003“ und die Studie „Altersvorsorge in Deutschland 1996“) sind äußerst repräsentativ, da der Anteil der Bevölkerung, der eine GRV-Rente erhält, in Ostdeutschland 99 Prozent, in Westdeutschland etwa 90 Prozent ausmacht. Aus den Daten zum Rentenbestand 2003 läßt sich für die Jahrgänge 1928 bis 1938 ersehen, daß der Geburtenrückgang in Ost- und Westdeutschland eindeutig nicht auf Kinderlosigkeit zurückzuführen ist (im Gegenteil ist Kinderlosigkeit in diesen Kohorten sogar geringer geworden), sondern ganz entscheidend auf den Rückgang der Familien mit vier und mehr Kindern. In Ostdeutschland ging der Anteil der großen Familien allerdings langsamer zurück. In beiden Landesteilen gehen die Gesamtdauer der Erwerbstätigkeit und die relative Einkommensposition der Frauen mit steigender Kinderzahl zurück. Im Westen verringerte sich stärker die Gesamterwerbsdauer, im Osten dagegen sank eher die Einkommensposition der Frauen mit zunehmender Kinderzahl. Beides führt zu geringeren Anwartschaften auf Renten. Für die ostdeutschen Frauen hat sich die Situation allerdings durch die 1992 beschlossene „Aufwertung der Rente für Geringverdienerinnen für Zeiten vor 1992“ deutlich gebessert. Dies und die Anerkennung der Kindererziehung in der Rente führen für ostdeutsche Frauen also zu einer teilweisen Kompensation der „Einkommensdiskriminierung von Müttern“ in der Rente. In Westdeutschland, wo nicht der geringe Lohn, sondern die langen Ausfallzeiten das Problem darstellen, hängt die Altersvorsorge der Mütter meist am Einkommen des Ehemannes. Durch Kinder haben sich westdeutsche Paare und erst recht allein stehende Frauen im Vergleich zu ihren kinderlosen Mitbürgern deutlich schlechter gestellt, und zwar je mehr Kinder, desto schlechter. Wie groß die Unterschiede tatsächlich sind, wird im einzelnen mit erschreckenden Zahlen belegt. Daß kinderlose Frauen und Paare außerdem stärker in der Lage waren, größere finanzielle (an Kindern gesparte) Mittel in zusätzliche Altersvorsorge zu investieren, macht die Gesamtsituation noch ungerechter. Hier wird die Transferausbeutung von Eltern in Deutschland (West) mit Händen greifbar. Diese materielle Umverteilungsstruktur von Eltern zu Kinderlosen liefert sicher stärkere Anhaltspunkte zur Erklärung von Kinderlosigkeit und Rückgang der Großfamilie als viele rein mentalitätsbezogene Modelle. Solche eher mentalitätsbezogenen Untersuchungen liefert der dritte Abschnitt des Sammelbandes zu „Kinderwunsch und Familienorientierung von Männern und Frauen“. Besonders gelungen ist hier der Beitrag von Mandy Boehnke (Universität Bremen), die die niedrigere Kinderlosigkeit bei ostdeutschen Hochschulabsolventinnen auf einen höheren „strukturellen Defamilialismus“ (d.h. v.a. bessere Kinderbetreuungsangebote) bei gleichzeitig höherem „kulturellem Familialismus“ (ausgeprägte Familienwerte) in der ehemaligen DDR zurückführt, während die Situation in der Bundesrepublik genau andersherum gewesen sei. Jan H. Marbach und Angelika Tölke vom Deutschen Jugendinstitut München liefern einen Beitrag zur Herausbildung eines neuen, von der traditionellen Familienernährerrolle abgesetzten alternativen Männlichkeits- und Vaterverständnisses, das u.a. die Bereitschaft beinhaltet, Erwerbsarbeitszeit einzuschränken und sich mehr um die Familie zu kümmern. „Trendsetter“ für dieses neuere Lebensmodell wären bisher vor allem hoch gebildete, beruflich erfolgreiche jüngere Männer, die in einer großstädtischen Umgebung leben und in Deutschland geboren wurden. Jan Eckhard und Thomas Klein von der Soziologie der Universität Heidelberg beschäftigen sich mit der bei Männern und Frauen unterschiedlichen Motivation zur Elternschaft. Während bei Männern die Motive der „Paarbindungsfunktion“ und der „Sicherungsfunktion“ von Kindern stärker ausgeprägt sei, wären für Frauen stärker „immaterielle“ Beweggründe von Bedeutung. Laura Bernardi und Sylvia Keim von der „unabhängigen Nachwuchsgruppe ,The Culture of Reproduction’ am Max Planck Institut für demografische Forschung behandeln am Beispiel von vier Frauen (zwei aus Rostock und zwei aus Lübeck) die „Lebenswege und Familienmodelle berufstätiger Frauen aus Ost- und Westdeutschland“. Im vierten und letzten Abschnitt des Sammelbandes geht es schließlich um übergreifende Erklärungsmodelle für die hohe Kinderlosigkeit in Deutschland. Den Auftakt bestreitet Heike Kahlert vom Institut für Soziologie und Demographie der Universität Rostock mit einem feministischen Ansatz. Der Wandel in den Geschlechterverhältnissen hin zu Gleichberechtigung von Mann und Frau sei „halbiert“, weil „Gender Mainstreaming“ bisher nur im öffentlichen Bereich stattgefunden habe. Der private Bereich sei dagegen weiterhin „weiblich codiert“ und nicht durch gleichberechtigte und geschlechtergerechte Arbeitsteilung gekennzeichnet. Kahlert fordert konsequenterweise eine „Demokratisierung der Familie“ und eine Umstrukturierung der geschlechtlichen Arbeitsteilung im privaten Raum. Die Politik solle die Haus- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern gerecht (d.h. gleich) verteilen. Wie so etwas konkret aussehen könnte, wird offengelassen. Dem Rezensenten schossen beim Lesen allerdings spontan einige unangenehme Visionen durch den Kopf, vom amtlich entsendeten „Familienbeamten“, der die gerecht aufgeteilte Zeit beim Abwaschen und Wäschebügeln stoppt bis hin zum Familienumerziehungslager, in welches renitent patriarchalische Familien zur Besserung geschickt werden könnten. Torsten Schröder von der Universität Bremen liefert ein „lebensverlaufstheoretisches Modell“, das sich primär gegen die Vorstellung einer konsequent „geplanten“ Kinderlosigkeit richtet. Kinderlosigkeit sei vielmehr das Resultat eines immer wiederkehrenden „flexiblen“ Aufschiebens von Kinderwünschen bis es biologisch zu spät ist. Der Abschlußbeitrag in diesem Abschnitt stammt von dem Lüneburger Soziologen Günter Burkart. Er konstatiert eine „Kultur der Kinderlosigkeit“, die sich inzwischen in Deutschland verfestigt habe. D.h. Kinderlosigkeit würde nicht mehr als Manko, sondern als kultureller Wert, tw. sogar als neues Ideal betrachtet. Eine individualistische „Kultur der Selbstreflexion und Selbstthematisierung“ würde sich in Bezug auf Elternschaft als eine „Kultur des Zweifels“ darstellen. Burkart wagt es in diesem Zusammenhang sogar, sich vom sonst dominierenden Vereinbarkeits-Mantra zu lösen und eine Professionalisierung der Elternschaft als Problemlösung anzudenken – natürlich nicht ohne die damit verbundenen „ethischen Turbulenzen“ zu thematisieren. Zuletzt bringt er die „Kultur des Zweifels“ mit den sozialen Aufsteigern der Bildungsexpansion, der „Generation der Achtundsechziger“, in Verbindung und äußert eine vage Hoffnung hinsichtlich der jüngeren Generation, bei der sich die Zweifel in Bezug auf Elternschaft möglicherweise wieder reduzieren könnten. Fazit: Der Band ist ein sehr guter Einstieg in die derzeit gängigen wissenschaftlichen Zugangsmöglichkeiten zum Thema Kinderlosigkeit. Viele Beiträge arbeiten mit detaillierten Tabellen und instruktiven Graphiken. Hervorzuheben ist besonders die kritische Reflektion der verfügbaren statistischen Daten. Rundum gelungen.

Die Herausgeber dieses Sammelbandes wollen sich mit ihrer „soziologischen Bestandsaufnahme“ zur Kinderlosigkeit in Deutschland von „Inhalt und Duktus“ der medialen Berichterstattung zum Thema abheben (wobei offenbar vor allem an die Berichterstattung zu den „40 Prozent“ kinderlosen Akademikerinnen gedacht ist). In der Einleitung (und auch in mehreren Beiträgen) finden sich kritische Reflektionen über die verfügbaren Daten zur Kinderlosigkeit, besonders zu den Erhebungsverfahren. Tatsächlich sind alle, die sich an der öffentlichen Debatte beteiligen, diesbezüglich auf Schätzungen und Näherungswerte angewiesen. Dies liegt vor allem an der „katholischen Statistik“ (Bernd Kittlaus) in Deutschland, die nur Geburten nach der Rangfolge eines bestehenden Haushalts (Mikrozensus) bzw. innerhalb einer bestehenden Ehe (Bevölkerungsstatistik) erfaßt, und nicht – wie in den meisten anderen Ländern – nach der biologischen Rangfolge. Während also der absolute Rückgang der Kinderzahlen unstreitig ist, läßt sich die Frage, in welchem Ausmaß Kinderlosigkeit bei einzelnen Bevölkerungsgruppen (etwa die vielbeschworenen Akademikerinnen) daran beteiligt ist, nur unter bestimmten Vorbehalten beantworten. Die Beiträge des Bandes sind in vier größere Sinneinheiten eingeteilt: europäischer Vergleich, strukturelle Aspekte (Bildung, Arbeitsmarkt), kulturelle bzw. mentale Aspekte sowie schließlich Erklärungs- und (implizit auch) Lösungsansätze.

Im ersten Abschnitt zum europäischen Vergleich sticht der Beitrag von Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson vom Max Planck Institut für demografische Forschung heraus. Sie zeigen anhand der Situation in Schweden, daß die Bildungsrichtung für Kinderlosigkeit entscheidender ist, als das Bildungsniveau. Zwar steigen die Kinderlosenanteile der schwedischen Frauen in allen Bildungsrichtungen mit dem Bildungsniveau an, aber in sehr unterschiedlichen Größenordnungen. So ist etwa in der Kohorte 1955-59 der Anteil kinderloser Ärztinnen, Sonderschullehrerinnen und Zahnärztinnen mit Universitätsabschluß in etwa genauso hoch wie der Anteil kinderloser Reinigungskräfte, Textilarbeiterinnen und Postbeamtinnen, die nur die zweijährige Sekundarstufe absolviert haben. Auffällig ist, daß besonders die im Unterrichtswesen und im Gesundheitswesen beschäftigten Frauen auf allen Qualifizierungsstufen eine deutlich niedrigere Kinderlosigkeit aufweisen als ihre Geschlechtsgenossinnen in anderen Branchen. Am höchsten sind die Kinderlosenanteile unter Geisteswissenschaftlerinnen (ohne Lehramtsqualifikation), Bibliothekarinnen und Theologinnen.

Der Beitrag von Katja Köppen (Max Planck Institut für demografische Forschung), Magali Mazuy (Universität Paris) und Laurent Toulemon (Institut national d’études démographiques Paris) befaßt sich mit der Kinderlosigkeit in Frankreich, die eine der niedrigsten in ganz Westeuropa ist, obwohl auch hier ein Anstieg zu beobachten ist. Erklärt wird die französische Situation mit dem gut ausgebauten Netz der Kinderbetreuung sowie dem System staatlicher Zuschüsse für Familien. Das seit 1994 eingeführte Erziehungsgeld für das zweite Kind und die seit 2004 bestehenden monetären Leitungen für das erste Kind hätten allerdings die Konsequenz gehabt, Frauen zumindest kurzfristig aus dem Berufsleben auszugliedern. Diese Angebote wurden v.a. von jungen und unqualifizierten Frauen angenommen, die in Frankreich überproportional häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Jürgen Dobritz und Kerstin Ruschdeckel (beide Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung) stellen die einschlägigen Daten zu Kinderlosigkeit in Deutschland im europäischen Vergleich dar und kommen zu dem Ergebnis, daß es in Deutschland eine „besondere Situation“, vielleicht sogar einen „europäischen Sonderweg“ gibt. Nirgends sonst (außer in der Schweiz) gibt es so hohe Kinderlosenanteile und einen so starken Anstiegstrend wie in Westdeutschland. Die Daten der „Population Policy Acceptance Study“ zeigen zudem, daß Kinderlosigkeit in Deutschland häufiger als in anderen Ländern ein bewußtes und gewolltes Lebenskonzept darstellt. Auch wenn die Daten nicht ganz eindeutig sind, zeigen sie doch einen übereinstimmenden Trend. Erklärt wird dieser Trend mit der familienpolitischen Situation in Westdeutschland, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwert, während relativ viel Geld in Ehe und Familie fließt. So konnte es zu einer Polarisierung zwischen kinderlosen berufstätigen Frauen und Familienmüttern kommen, wobei der Trend zur Entscheidung für Erwerbstätigkeit und gegen Kinder geht. In Ostdeutschland habe die pronatalistische Politik und der antiindividualistische Kollektivismus einer geschlossenen sozialistischen Gesellschaft dagegen die Tradition der Familienbildung aus den 60er Jahren indirekt bewahrt. Hier blieb es statt der westdeutschen Polarisierung bei einer starken gesamtgesellschaftlichen Orientierung auf die Zwei-Kind-Familie. Die Kinderlosenanteile scheinen sich allerdings in den jüngeren Jahrgängen denen Westdeutschlands anzugleichen. Bei der durchschnittlichen Kinderzahl pro gebärende Frau liegt Ostdeutschland allerdings zusammen mit Westdeutschland (für den Jahrgang 1965) auf den beiden letzten Plätzen in Europa.

Im zweiten größeren Abschnitt des Sammelbandes zur „Sozialstruktur von Kinderlosigkeit in Ost- und Westdeutschland“ widmet sich Hildegard Schaeper (Hochschulinformationssystem Hannover) der Kinderlosigkeit von Hochschulabsolventinnen verschiedener Examenskohorten (1989, 1993, 1997 und 2003) im Ost-West-Vergleich. In beiden Landesteilen zeigt sich im Zeitverlauf ein zunehmender Trend zum Aufschub der Familiengründung nach dem Hochschulabschluß. Allerdings realisieren die Absolventinnen von ostdeutschen Hochschulen die Erstgeburt trotz Angleichungstendenzen immer noch signifikant schneller und häufiger als ihre westdeutschen Pendants, was Schaeper auf eine „Persistenz der ostdeutschen Geschlechterkultur“ zurückführt.

Heike Wirth (Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen Mannheim) untersucht die Kinderlosigkeit von Hochqualifizierten „im Paarkontext“ und kommt zu dem Ergebnis, daß sich die reduzierte Neigung zur Familiengründung bei Hochqualifizierten im Kohortenvergleich verstärkt. Unterschiede gibt es dabei zwischen hypergamen (Mann höher qualifiziert als die Frau), homogamen (gleichhohe Qualifizierung) und hypogamen (Frau höher qualifiziert als der Mann) Paaren. Am geringsten ist Kinderlosigkeit bei hypergamen und am stärksten bei hypogamen Paaren ausgeprägt. Der Anteil hypogamer Beziehungen ist immerhin schon auf 30 Prozent angestiegen. Daneben sind vor allem der steigende Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften und die verstärkte Erwerbsbeteiligung der Frauen Faktoren, die mit der zunehmenden Kinderlosigkeit von Hochschulabsolventinnen korrelieren.

Besonders hervorzuheben ist der Artikel von Michael Stegmann und Tatjana Mika (beide Forschungsdatenzentrum der Rentenversicherung). Sie untersuchen die Zusammenhänge von Elternschaft und Alterseinkommen für die Jahrgänge 1928 bis 1955 im Ost-West-Vergleich. Die zugrundeliegenden Daten (Scientific Use File „Rentenbestand 2003“ und die Studie „Altersvorsorge in Deutschland 1996“) sind äußerst repräsentativ, da der Anteil der Bevölkerung, der eine GRV-Rente erhält, in Ostdeutschland 99 Prozent, in Westdeutschland etwa 90 Prozent ausmacht. Aus den Daten zum Rentenbestand 2003 läßt sich für die Jahrgänge 1928 bis 1938 ersehen, daß der Geburtenrückgang in Ost- und Westdeutschland eindeutig nicht auf Kinderlosigkeit zurückzuführen ist (im Gegenteil ist Kinderlosigkeit in diesen Kohorten sogar geringer geworden), sondern ganz entscheidend auf den Rückgang der Familien mit vier und mehr Kindern. In Ostdeutschland ging der Anteil der großen Familien allerdings langsamer zurück. In beiden Landesteilen gehen die Gesamtdauer der Erwerbstätigkeit und die relative Einkommensposition der Frauen mit steigender Kinderzahl zurück. Im Westen verringerte sich stärker die Gesamterwerbsdauer, im Osten dagegen sank eher die Einkommensposition der Frauen mit zunehmender Kinderzahl. Beides führt zu geringeren Anwartschaften auf Renten. Für die ostdeutschen Frauen hat sich die Situation allerdings durch die 1992 beschlossene „Aufwertung der Rente für Geringverdienerinnen für Zeiten vor 1992“ deutlich gebessert. Dies und die Anerkennung der Kindererziehung in der Rente führen für ostdeutsche Frauen also zu einer teilweisen Kompensation der „Einkommensdiskriminierung von Müttern“ in der Rente. In Westdeutschland, wo nicht der geringe Lohn, sondern die langen Ausfallzeiten das Problem darstellen, hängt die Altersvorsorge der Mütter meist am Einkommen des Ehemannes. Durch Kinder haben sich westdeutsche Paare und erst recht allein stehende Frauen im Vergleich zu ihren kinderlosen Mitbürgern deutlich schlechter gestellt, und zwar je mehr Kinder, desto schlechter. Wie groß die Unterschiede tatsächlich sind, wird im einzelnen mit erschreckenden Zahlen belegt. Daß kinderlose Frauen und Paare außerdem stärker in der Lage waren, größere finanzielle (an Kindern gesparte) Mittel in zusätzliche Altersvorsorge zu investieren, macht die Gesamtsituation noch ungerechter. Hier wird die Transferausbeutung von Eltern in Deutschland (West) mit Händen greifbar. Diese materielle Umverteilungsstruktur von Eltern zu Kinderlosen liefert sicher stärkere Anhaltspunkte zur Erklärung von Kinderlosigkeit und Rückgang der Großfamilie als viele rein mentalitätsbezogene Modelle.

Solche eher mentalitätsbezogenen Untersuchungen liefert der dritte Abschnitt des Sammelbandes zu „Kinderwunsch und Familienorientierung von Männern und Frauen“. Besonders gelungen ist hier der Beitrag von Mandy Boehnke (Universität Bremen), die die niedrigere Kinderlosigkeit bei ostdeutschen Hochschulabsolventinnen auf einen höheren „strukturellen Defamilialismus“ (d.h. v.a. bessere Kinderbetreuungsangebote) bei gleichzeitig höherem „kulturellem Familialismus“ (ausgeprägte Familienwerte) in der ehemaligen DDR zurückführt, während die Situation in der Bundesrepublik genau andersherum gewesen sei.

Jan H. Marbach und Angelika Tölke vom Deutschen Jugendinstitut München liefern einen Beitrag zur Herausbildung eines neuen, von der traditionellen Familienernährerrolle abgesetzten alternativen Männlichkeits- und Vaterverständnisses, das u.a. die Bereitschaft beinhaltet, Erwerbsarbeitszeit einzuschränken und sich mehr um die Familie zu kümmern. „Trendsetter“ für dieses neuere Lebensmodell wären bisher vor allem hoch gebildete, beruflich erfolgreiche jüngere Männer, die in einer großstädtischen Umgebung leben und in Deutschland geboren wurden.

Jan Eckhard und Thomas Klein von der Soziologie der Universität Heidelberg beschäftigen sich mit der bei Männern und Frauen unterschiedlichen Motivation zur Elternschaft. Während bei Männern die Motive der „Paarbindungsfunktion“ und der „Sicherungsfunktion“ von Kindern stärker ausgeprägt sei, wären für Frauen stärker „immaterielle“ Beweggründe von Bedeutung.

Laura Bernardi und Sylvia Keim von der „unabhängigen Nachwuchsgruppe ,The Culture of Reproduction’ am Max Planck Institut für demografische Forschung behandeln am Beispiel von vier Frauen (zwei aus Rostock und zwei aus Lübeck) die „Lebenswege und Familienmodelle berufstätiger Frauen aus Ost- und Westdeutschland“.

Im vierten und letzten Abschnitt des Sammelbandes geht es schließlich um übergreifende Erklärungsmodelle für die hohe Kinderlosigkeit in Deutschland. Den Auftakt bestreitet Heike Kahlert vom Institut für Soziologie und Demographie der Universität Rostock mit einem feministischen Ansatz. Der Wandel in den Geschlechterverhältnissen hin zu Gleichberechtigung von Mann und Frau sei „halbiert“, weil „Gender Mainstreaming“ bisher nur im öffentlichen Bereich stattgefunden habe. Der private Bereich sei dagegen weiterhin „weiblich codiert“ und nicht durch gleichberechtigte und geschlechtergerechte Arbeitsteilung gekennzeichnet. Kahlert fordert konsequenterweise eine „Demokratisierung der Familie“ und eine Umstrukturierung der geschlechtlichen Arbeitsteilung im privaten Raum. Die Politik solle die Haus- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern gerecht (d.h. gleich) verteilen. Wie so etwas konkret aussehen könnte, wird offengelassen. Dem Rezensenten schossen beim Lesen allerdings spontan einige unangenehme Visionen durch den Kopf, vom amtlich entsendeten „Familienbeamten“, der die gerecht aufgeteilte Zeit beim Abwaschen und Wäschebügeln stoppt bis hin zum Familienumerziehungslager, in welches renitent patriarchalische Familien zur Besserung geschickt werden könnten.

Torsten Schröder von der Universität Bremen liefert ein „lebensverlaufstheoretisches Modell“, das sich primär gegen die Vorstellung einer konsequent „geplanten“ Kinderlosigkeit richtet. Kinderlosigkeit sei vielmehr das Resultat eines immer wiederkehrenden „flexiblen“ Aufschiebens von Kinderwünschen bis es biologisch zu spät ist.

Der Abschlußbeitrag in diesem Abschnitt stammt von dem Lüneburger Soziologen Günter Burkart. Er konstatiert eine „Kultur der Kinderlosigkeit“, die sich inzwischen in Deutschland verfestigt habe. D.h. Kinderlosigkeit würde nicht mehr als Manko, sondern als kultureller Wert, tw. sogar als neues Ideal betrachtet. Eine individualistische „Kultur der Selbstreflexion und Selbstthematisierung“ würde sich in Bezug auf Elternschaft als eine „Kultur des Zweifels“ darstellen. Burkart wagt es in diesem Zusammenhang sogar, sich vom sonst dominierenden Vereinbarkeits-Mantra zu lösen und eine Professionalisierung der Elternschaft als Problemlösung anzudenken – natürlich nicht ohne die damit verbundenen „ethischen Turbulenzen“ zu thematisieren. Zuletzt bringt er die „Kultur des Zweifels“ mit den sozialen Aufsteigern der Bildungsexpansion, der „Generation der Achtundsechziger“, in Verbindung und äußert eine vage Hoffnung hinsichtlich der jüngeren Generation, bei der sich die Zweifel in Bezug auf Elternschaft möglicherweise wieder reduzieren könnten.

Fazit: Der Band ist ein sehr guter Einstieg in die derzeit gängigen wissenschaftlichen Zugangsmöglichkeiten zum Thema Kinderlosigkeit. Viele Beiträge arbeiten mit detaillierten Tabellen und instruktiven Graphiken. Hervorzuheben ist besonders die kritische Reflektion der verfügbaren statistischen Daten. Rundum gelungen.

geschrieben am 04.12.2007 | 1780 Wörter | 12488 Zeichen

Kommentare lesen Kommentar schreiben

Kommentare zur Rezension (0)

Platz für Anregungen und Ergänzungen