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Alfred Kantorowicz - sein Leben und seine Zeit von 1899 bis 1935


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Rezension von

Max Bloch

Alfred Kantorowicz - sein Leben und seine Zeit von 1899 bis 1935 Mit seiner Teilbiographie über Alfred Kantorowicz ist Wolfgang Gruner ist ein großer Wurf gelungen – oder doch beinahe. Während der Autor im Vorwort erklärt, ursprünglich eine umfassende Lebensbeschreibung im Sinn gehabt, sich dann jedoch aufgrund der Überfülle des Materials auf die Lebensjahre bis 1935 und damit auf eine bloße Vorarbeit beschränkt zu haben, muss gesagt werden, dass es doch Gruner gewesen sein könnte, der diese längst überfällige Kantorowicz-Biographie bei einem Verzicht auf das ein oder andere – mitunter ellenlange – Zitat aus Kantorowiczs ohnehin gedruckt vorliegenden autobiographischen Schriften auch ohne Dammbruch hätte vorlegen können. Dieser Vorwurf an den Autor, sein Blatt nicht voll ausgespielt zu haben, bleibt jedoch der einzige, der dem Buch gemacht werden kann. Denn so brüsk der Leser aus dieser Lebenserzählung im Jahr 1935 entlassen und auf künftige Studien vertröstet wird, so plastisch und lebendig wird ihm das Schicksal Alfred Kantorowiczs zwischen 1899 und 1935 – mitunter zu ausführlich, aber immer nah am Menschen – dargestellt. Alfred Kantorowicz, „Kanto“, wie er von seinen Freunden genannt wurde, hat nach einer, wie er selber schreibt, freudlosen und widerspenstigen Jugend, einer echt expressionistischen Revolte gegen die väterliche Autorität und einer fürsorglichen Nähe zu seiner in ihrer Ehe gefangenen und später den Freitod wählenden Mutter, wie viele andere seiner Generation im Kriegserlebnis seine Politisierung erfahren. Sein Selbstverständnis als verdienter Frontkämpfer blieb über alle politischen Wechselbäder hinweg prägend und ließ ihn die literarischen Exponenten des Frontkämpfertums, Schauwecker, Jünger, von Salomon, Beumelburg, Dwinger, als Kameraden im Geiste ansehen. Daran sollte selbst das Jahr 1933, als er bei Friedrich Hielscher Unterschlupf fand, nichts ändern, auch wenn manche der Genannten, vor allem Dwinger, sich dem neuen Staat andienten. Kantorowiczs Beziehungen zur Konservativen Revolution füllen die interessantesten Spalten des Buches und zeigen, aus welch unterschiedlichen Quellen sich das Reservoir der intellektuellen Republikgegner speiste. „Linke Leute von rechts“, „rechte Leute von links“ – hier floss manches durcheinander und zusammen. Kantorowiczs Entwicklung vom bürgerlichen Individualisten, überzeugten Zionisten, liberalen Nationalisten zum faszinierten Philobolschewisten, seine Anfälligkeit für „Ideen“ jeder Art wird von Gruner kenntnisreich beschrieben. Deutschland, so schrieb Kantorowicz während seines Engagements für die liberal-völkische Deutsche Staatspartei 1930, sei „eine Minderheit, eine rettende Minderheit von Ideologen“. Dass er den Kommunismus, zu dem er im gleichen Jahre fand, als letzte Bastion bürgerlicher Humanitätswerte erlebte, passt in das Bild seiner idealistischen Heilserwartung und in seine engagierte Ablehnung einer kleinbürgerlich-kleingeistigen Republik. Die Eile, mit der er frühere strikt antimarxistische Positionen über Bord warf, schien manchem Zeitgenossen hingegen derart überstürzt, dass Kantorowicz fast schon als Konvertit aus Überzeugung erschien – mit dem Konvertiten eigenen Glaubenseifer. Freunde, die eine ähnliche Entwicklung durchlaufen hatten, wie Manès Sperber, Hans Sahl, Axel Eggebrecht und Arthur Koestler, schildern „Kanto“ in ihren Erinnerungen als gläubigen Kommunisten und willfährigen Vollstrecker der Moskauer Direktiven. Auch Karola Bloch, Kantorowiczs Ex-Verlobte und Frau seines verehrten Mentors Ernst Bloch, äußert sich in diesem Sinne. Dass er gegenüber dem erstarkenden Nationalsozialismus auf dem Posten war, „sehr hellhörig für das, was sich da zusammenbraut“, ist eine charmante Stilblüte, erweist jedoch den wiederum soldatischen Mut, den Kantorowicz als Parteisekretär der Roten Künstlerkolonie in Berlin-Wilmersdorf im Kampf gegen die braunen Schlägertrupps bewies. Die noch im Exil beschworene Erinnerung an den Berliner Verkehrsarbeiterstreik, als Kommunisten und Nazis gemeinsam gegen die Republik standen, bringt aber auch die von ihm im Grunde immer befürwortete Einheitsfront der wahrhaft „revolutionären“ Kräfte in NSDAP und KPD zum Ausdruck. Ebenso zeigen seine mitunter scharf antijüdischen Statements, die an Ruth Fischers Parolen während des Schlageter-Kurses erinnern, und seine Charakterisierung „sozialdemokratischer Bonzen“ als „Insekten“ und „Wanzen“, die von Hitler zu Recht zertreten würden, uns durchaus nicht den stets sorgsam wägenden, immer skeptischen Geist, zu dem er sich in seinen autobiographischen Schriften stilisierte. Vor dem Hintergrund solcher Äußerungen ist Gruner beizupflichten, dass der kritische Leser bestrebt sein sollte, Kantorowiczs sorgsam gepflegter Selbstdarstellung nicht auf den Leim zu gehen, sondern sein Leben als ein Paradebeispiel jener antibürgerlichen Mobilisierung nach 1918 zu lesen, deren Träger – Ironie der Geschichte – eben Bürger waren. Kantorowiczs weitere und weiterhin bewegte Geschichte wird also noch zu schreiben sein, und es bleibt zu hoffen, dass Wolfgang Gruner, der sich mit seiner lesenswerten Dissertation als „Kanto“-Spezialist profiliert hat, auch diese Herausforderung annehmen und seine Forschungsergebnisse in einer Anschlusspublikation aufbereiten möge.

Mit seiner Teilbiographie über Alfred Kantorowicz ist Wolfgang Gruner ist ein großer Wurf gelungen – oder doch beinahe. Während der Autor im Vorwort erklärt, ursprünglich eine umfassende Lebensbeschreibung im Sinn gehabt, sich dann jedoch aufgrund der Überfülle des Materials auf die Lebensjahre bis 1935 und damit auf eine bloße Vorarbeit beschränkt zu haben, muss gesagt werden, dass es doch Gruner gewesen sein könnte, der diese längst überfällige Kantorowicz-Biographie bei einem Verzicht auf das ein oder andere – mitunter ellenlange – Zitat aus Kantorowiczs ohnehin gedruckt vorliegenden autobiographischen Schriften auch ohne Dammbruch hätte vorlegen können. Dieser Vorwurf an den Autor, sein Blatt nicht voll ausgespielt zu haben, bleibt jedoch der einzige, der dem Buch gemacht werden kann. Denn so brüsk der Leser aus dieser Lebenserzählung im Jahr 1935 entlassen und auf künftige Studien vertröstet wird, so plastisch und lebendig wird ihm das Schicksal Alfred Kantorowiczs zwischen 1899 und 1935 – mitunter zu ausführlich, aber immer nah am Menschen – dargestellt.

Alfred Kantorowicz, „Kanto“, wie er von seinen Freunden genannt wurde, hat nach einer, wie er selber schreibt, freudlosen und widerspenstigen Jugend, einer echt expressionistischen Revolte gegen die väterliche Autorität und einer fürsorglichen Nähe zu seiner in ihrer Ehe gefangenen und später den Freitod wählenden Mutter, wie viele andere seiner Generation im Kriegserlebnis seine Politisierung erfahren. Sein Selbstverständnis als verdienter Frontkämpfer blieb über alle politischen Wechselbäder hinweg prägend und ließ ihn die literarischen Exponenten des Frontkämpfertums, Schauwecker, Jünger, von Salomon, Beumelburg, Dwinger, als Kameraden im Geiste ansehen. Daran sollte selbst das Jahr 1933, als er bei Friedrich Hielscher Unterschlupf fand, nichts ändern, auch wenn manche der Genannten, vor allem Dwinger, sich dem neuen Staat andienten. Kantorowiczs Beziehungen zur Konservativen Revolution füllen die interessantesten Spalten des Buches und zeigen, aus welch unterschiedlichen Quellen sich das Reservoir der intellektuellen Republikgegner speiste. „Linke Leute von rechts“, „rechte Leute von links“ – hier floss manches durcheinander und zusammen.

Kantorowiczs Entwicklung vom bürgerlichen Individualisten, überzeugten Zionisten, liberalen Nationalisten zum faszinierten Philobolschewisten, seine Anfälligkeit für „Ideen“ jeder Art wird von Gruner kenntnisreich beschrieben. Deutschland, so schrieb Kantorowicz während seines Engagements für die liberal-völkische Deutsche Staatspartei 1930, sei „eine Minderheit, eine rettende Minderheit von Ideologen“. Dass er den Kommunismus, zu dem er im gleichen Jahre fand, als letzte Bastion bürgerlicher Humanitätswerte erlebte, passt in das Bild seiner idealistischen Heilserwartung und in seine engagierte Ablehnung einer kleinbürgerlich-kleingeistigen Republik. Die Eile, mit der er frühere strikt antimarxistische Positionen über Bord warf, schien manchem Zeitgenossen hingegen derart überstürzt, dass Kantorowicz fast schon als Konvertit aus Überzeugung erschien – mit dem Konvertiten eigenen Glaubenseifer. Freunde, die eine ähnliche Entwicklung durchlaufen hatten, wie Manès Sperber, Hans Sahl, Axel Eggebrecht und Arthur Koestler, schildern „Kanto“ in ihren Erinnerungen als gläubigen Kommunisten und willfährigen Vollstrecker der Moskauer Direktiven. Auch Karola Bloch, Kantorowiczs Ex-Verlobte und Frau seines verehrten Mentors Ernst Bloch, äußert sich in diesem Sinne.

Dass er gegenüber dem erstarkenden Nationalsozialismus auf dem Posten war, „sehr hellhörig für das, was sich da zusammenbraut“, ist eine charmante Stilblüte, erweist jedoch den wiederum soldatischen Mut, den Kantorowicz als Parteisekretär der Roten Künstlerkolonie in Berlin-Wilmersdorf im Kampf gegen die braunen Schlägertrupps bewies. Die noch im Exil beschworene Erinnerung an den Berliner Verkehrsarbeiterstreik, als Kommunisten und Nazis gemeinsam gegen die Republik standen, bringt aber auch die von ihm im Grunde immer befürwortete Einheitsfront der wahrhaft „revolutionären“ Kräfte in NSDAP und KPD zum Ausdruck. Ebenso zeigen seine mitunter scharf antijüdischen Statements, die an Ruth Fischers Parolen während des Schlageter-Kurses erinnern, und seine Charakterisierung „sozialdemokratischer Bonzen“ als „Insekten“ und „Wanzen“, die von Hitler zu Recht zertreten würden, uns durchaus nicht den stets sorgsam wägenden, immer skeptischen Geist, zu dem er sich in seinen autobiographischen Schriften stilisierte. Vor dem Hintergrund solcher Äußerungen ist Gruner beizupflichten, dass der kritische Leser bestrebt sein sollte, Kantorowiczs sorgsam gepflegter Selbstdarstellung nicht auf den Leim zu gehen, sondern sein Leben als ein Paradebeispiel jener antibürgerlichen Mobilisierung nach 1918 zu lesen, deren Träger – Ironie der Geschichte – eben Bürger waren. Kantorowiczs weitere und weiterhin bewegte Geschichte wird also noch zu schreiben sein, und es bleibt zu hoffen, dass Wolfgang Gruner, der sich mit seiner lesenswerten Dissertation als „Kanto“-Spezialist profiliert hat, auch diese Herausforderung annehmen und seine Forschungsergebnisse in einer Anschlusspublikation aufbereiten möge.

geschrieben am 03.11.2008 | 694 Wörter | 4522 Zeichen

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