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Sturm


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Sturm In dem umfangreichen und schwer zu überschauenden Gesamtwerk von Ernst Jünger gibt es eine Novelle, die durch ihre Publikationsgeschichte ein geheimnisvolles Air umgibt. Die Novelle Sturm galt bis jahrzehntelang als verschollen. Zwischen dem 11. und dem 27. April 1923 erschien in der Tageszeitung Hannoverscher Kurier in sechzehn Folgen die Erzählung Aus der Grabenchronik Sturm. Ernst Jünger hatte diese Geschichte geschrieben zwischen Ende 1922 und Anfang 1923, als in ihm bereits der Wunsch gärte, Schriftsteller zu werden. Es war seine erste Erzählung überhaupt. Zuvor hatte Jünger hauptsächlich politische Aufsätze publiziert und – im Rahmen seiner Tätigkeit als Leutnant der Reichswehr – militärwissenschaftliche Fachbeiträge (Über Angriffsgeschwindigkeit). Zwischen 1920 und 1922 hatte Jünger aufgrund seiner großen Erfahrungen als Frontoffizier an der Heeresdienstvorschrift für die Infanterie mitgewirkt. Seine beiden bis zu diesem Zeitpunkt erschienenen Bücher hatten diaristischen und essayistischen Charakter. In Stahlgewittern, mit dem Untertitel Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers, war 1920 erschienen und basierte auf den kleinen Notizheftchen, die der Frontsoldat im Schützengraben stets mit sich geführt hatte. Die Zeitungs-Erzählung schildert das Fronterlebnis von Leutnant Sturm, der im Labyrinth der Schützengräben einen Zug befehligt. Da ihm seine Aufgabe, vor allem durch die Art des abwartenden Stellungskampfes, viel Zeit lässt, kann er sich ausgiebig mit schönen Dingen beschäftigen. Sturm trägt offensichtlich starke autobiographische Züge Jüngers. Diese sind so deutlich, dass sie den Verdacht erhärten, Jünger habe die Erzählung später bewusst unter den Tisch fallen lassen. Angeblich hat sie Jüngers Freund, der Sammler seiner Veröffentlichungen und Bibliograph Hans Peter des Coudres wiedergefunden. Jünger reagierte auf Nachfragen nur dandyistisch unterkühlt, er habe die Geschichte vergessen gehabt. So wurde Sturm erst exakt vier Jahrzehnte nach dem Erstdruck der Öffentlichkeit wieder zugänglich. Unter diesem Titel publizierte sie 1963 William Matheson als Oltner Liebhaberdruck. Das Buch begründete dann eine ganze Reihe feinster bibliophiler Bände, darunter auch noch einige aus Jüngers Feder. Die Auflage dieser wertvollen Ausgabe von Sturm betrug insgesamt nur 666 Exemplare, gedruckt „in der Bembo-Antiqua auf Zerkall-Bütten“. Das Impressum betont, dass die Auflage einmalig sein sollte. Auch an die modernen Dandys hatte man gedacht: „55 Ex. sind als Ganzlederbde., 105 als Halblederbde. in rotem Maroquin gebunden und v. Dichter signiert.“ Viele der Ganzlerderbände wurden von Jünger mit einer zusätzlichen persönlichen Widmung an Freunde verschenkt; diese und auch die Halblederexemplare kosten heute im Antiquariat mehrere hundert Euro und sind äußerst gesuchte Sammlerstücke. Durch geringe Auflage und hohen Preis blieb die Novelle also weiterhin nur einem begrenzten Kreis von Lesern zugänglich. Das sollte sich erst 1979 ändern, mit der Aufnahme in die Sämtlichen Werke. Seitdem ist Sturm in der hier vorgestellten Buchausgabe erhältlich. Jünger verlieh seiner kleinen Erzählung also nicht nur mittels rotem Maroquin einen Dandytouch, sondern auch durch sein Versteckspiel. „Die Stunden vor der Abenddämmerung pflegten die Zugführer der dritten Kompanie gemeinschaftlich zu verbringen“, lautet der – bei jeder Erzählung essentielle – erste Satz. Er deutet Jüngers Sehnsucht einer tiefen menschlichen Verbindung zu den wenigen Besonderen an, wie er sie dann sechs Jahre später im Abenteuerlichen Herzen formulierte: „Der Glaube an die Einsamen entspringt der Sehnsucht nach einer namenloseren Brüderlichkeit, nach einem tieferen geistigen Verhältnis, als es unter Menschen möglich ist.“ Die drei befreundeten Offiziere Sturm, Hugershoff und Döhring treffen sich an den meisten Abenden und in vielen Nächten, um angeregte Gespräche zu führen. Obwohl sie sich in einem staubigen und kellerartigen Unterstand zusammenfinden, lassen sie sich Kultur und Lebensart nicht nehmen. Man zündet Kerzen an und öffnet eine Flasche guten Rotweins. Die Themen drehen sich dabei vorwiegend um Literatur und Kunst. Allen dreien ist ihre Affinität zu den Autoren des Fin de siècle, der sogenannten Décadence, gemein. Jünger sagt ganz offen, wer die Säulenheiligen sind: „Juvenal, Rabelais, Lli-tai-pe, Balzac und Huysmans unbedingt.“ Da sie äußerst belesen sind, gleichen ihre Zusammenkünfte intellektuellen Bibliotheksreisen. Sie stellen ihren Ästhetizismus der apokalyptischen Realität entgegen. Draußen fliegen die Granaten umher und könnten in jeder Sekunde das Leben der Grabendandys beenden. Und Sturm beschäftigt geistig, wie er seine sublimen Gedanken, fein und empfindlich wie die ersten Frühlingsblüten, in perfekter Form zu Papier bringen kann. „Er schrieb zur Zeit an einer Reihe von Novellen, in denen er versuchte, die letzte Form des Menschen in ihren feinsten Ausstrahlungen auf lichtempfindliches Paper zu bringen.“ Allerdings zu glauben, diese Schilderung sei ein Jüngerscher Wunschtraum gewesen, ist ein Irrtum. Denn tatsächlich existieren Photos, auf denen Jünger in seinem Unterstand inmitten von Büchern sitzt. Dem entsprechen auch seine eigenen Beschreibungen in den Stahlgewittern, wo er davon spricht, im Schützengraben Laurence Sternes ironischen Gesellschaftsroman Leben und Ansichten von Tristram Shandy neben anderen Büchern gelesen zu haben. Und der umfasst immerhin über siebenhundert Seiten. Sturm ist in der Erzählung der geistige Anführer der drei. Er liest und schreibt viel, führt einen regen Briefwechsel. Jünger gibt seinem Protagonisten somit eine der essentiellsten Dandyattitüden mit: All die geschilderten Tätigkeiten haben vor allem einen Zweck: die Flucht aus der Zeit und ihren Verhältnissen. Ob Brummell oder Montesquiou, Wilde oder Wainewright, von ihnen allen ist überliefert, dass sie sich in dem Jahrhundert, in dem sie lebten, nicht zu Hause fühlten. Brummell beschwor die Aristokratie der zurückliegenden Zeit, Wainewright sehnte sich, wie vielleicht auch Wilde, zurück zu den alten Griechen. Baudelaire war einer der grundlegenden theoretischen Kritiker von Moderne und Demokratie. Er besaß eine seismographische Wahrnehmung für die immer weitergehenden Anmaßungen einer modernen Massengesellschaft. Heute können wir erst recht ein Lied davon singen. So steht hinter dem dandyistischen Zeitbewusstsein auch die romantische Sehnsucht, sich mittels einer adligen Ästhetik der allgemeinen Gleichmacherei entgegenzuwerfen. Wenn der Dandy schon im Strudel einer untergehenden Welt steht, dann will er wenigstens mit Würde untergehen. Beschreibt Jünger mit Sturm sich selbst, so ist man bei Döhring an Oscar Wilde erinnert. Genussvoll sinniert Sturm über die Art des Gesprächs zwischen den beiden Kameraden Hugershoff und Döhring. Während Hugershoff eher eine rationale, alle Argumente einbeziehende und geschickt nutzende Überzeugungstaktik besitzt, sind Dörings Ausführungen rhetorische Meisterleistungen Wildeschen Formats. Jüngers/Sturms Schilderung von Döring erinnert an die Beschreibungen der berühmten Tischgespräche von Wilde. „Döring […] legte sichtlich mehr auf die geglättete Form des Wortes als auf das Ergebnis des Gespräches Wert. Er wechselte seinen Standpunkt nach Belieben und sprang den Gegner geschmeidig aus den verschiedensten Positionen an. Dabei beschränkte er sich keineswegs auf die Oberfläche, er blendete, ohne Causeur zu sein. Diese Methode wandte er allerdings nur Leuten gegenüber an, die er schätzte; bei anderen schloss er sich vollkommen der Meinung der Gegenseite an und erstickte damit jede Möglichkeit einer unangenehmen oder zwecklosen Auseinandersetzung im Keim.“ So schildert Jünger mit den drei Frontoffizieren auch drei verschiedene Typen von Dandys. Und dann gibt es da noch Tronck, den vor allem äußerlichen Dandy. „Äußerlich schien er unbeteiligt und glatt, ein Dreißigjähriger, der in der eleganten Erscheinung seine Aufgabe sieht.“ Er ist in seinem Erscheinungsbild ganz Gentleman, denn: „Obwohl er unauffällig gekleidet war, zog er die Blicke der Menge an“. Bei den gewöhnlichen Menschen löste Tronck Reaktionen zwischen Bewunderung und Irritation aus. Jünger macht deutlich, dass der Masse die Subtilität des Dandys verborgen bleibt: „Ein guter Beobachter musste erkennen, dass Tronck sich mehr für sich selbst anzog als für andere.“ Die folgende Beschreibung erinnert wiederum auffallend an diejenige, die uns Barbey d’Aurevilly von Beau Brummell überlieferte. „Nicht Form oder Farbe war das Auffallende an ihm. Sein Anzug spielte in zwei weichen Tönen auf einem Nelkenbraun, das an Kragen und Ärmeln durch die weißen Kanten der Wäsche scharf abgeschnitten wurde. Alles Farbige war auf geringe Differenzen und matte Kontraste gestimmt. Ausgesprochen war nur die Halsbinde, deren Schleife sich wie ein schillernder Falter über dem geschliffenen Steine wiegte, der die Hemdbrust schloß. Was die Form betrifft, die aus Schnitt, Falten und Würfen sprang, so war es dem Eingeweihten klar, daß hier sorgfältiger Einfluß eines Künstlers dem Handwerk des Schneiders höheren Sinn gegeben hatte.“ So ist den Grabendandys bewusst, dass die Erscheinung letztlich nicht wesensbestimmend ist. Da sie sich aber inmitten eines unvermeidlichen infernalischen Unterganges sehen, ist es das beste Rezept, ästhetisch-stilvoll unterzugehen. Baudelaire und Huysmans hatten es zuvor beschrieben. Die letzthinnige Leere des Lebens, die schon Huysmans so folgenreiche Romanfigur Des Esseintes so konsequent vorgelitten hatte, wird von Sturm im sinnlosen Gemetzel des Grabenkrieges als schmerzhaft-essenzloser Kampfrausch perzepiert. „Diesem Leben unter den Mündungen der Kanonen entstrahlte ein starker, betäubender Duft, wie blühenden Blumenwiesen im August. Gerade in dieser kleinen Kulturinsel inmitten der drohenden Wüstenei wurde zuweilen ein Gefühl wach, das jede Kultur vor ihrem Untergange mit dem Schimmer eines letzten und höchsten Luxus umhüllt: das Gefühl einer gänzlichen Zwecklosigkeit, eines Seins, das für kurze Zeit wie ein Feuerwerk über nächtlichen Gewässern stand.“ Baudelaire hatte den Dandy in die Literatur eingeführt als den letzten Helden, als den letzten heroischen Kämpfer, der sich mit seinem Bewusstsein der alles nivellierenden Moderne entgegenstellt. Und dieser Kampf kann nur in Einsamkeit geschehen; ein Dandy hat keinen Verbündeten. So stehen auch die Frontkämpfer auf keiner Seite. Zwar halten sie buchstäblich ihre Köpfe für Deutschland hin, ihnen ist aber bewusst, dass es letztendlich gleichgültig ist, „hinter welchen Fahnen man steht“. Denn das, wonach sie streben, ist ausschließlich die Erhaltung des eigenen Ich, der „freien Entfaltung der Persönlichkeit inmitten der straffsten Bindung, die man sich denken kann“. In unverholener Weise macht die kleine Erzählung die Bezüge des späteren Jahrhundert-Autors zu Décadence und Dandytum deutlich.

In dem umfangreichen und schwer zu überschauenden Gesamtwerk von Ernst Jünger gibt es eine Novelle, die durch ihre Publikationsgeschichte ein geheimnisvolles Air umgibt. Die Novelle Sturm galt bis jahrzehntelang als verschollen.

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Zwischen dem 11. und dem 27. April 1923 erschien in der Tageszeitung Hannoverscher Kurier in sechzehn Folgen die Erzählung Aus der Grabenchronik Sturm. Ernst Jünger hatte diese Geschichte geschrieben zwischen Ende 1922 und Anfang 1923, als in ihm bereits der Wunsch gärte, Schriftsteller zu werden. Es war seine erste Erzählung überhaupt. Zuvor hatte Jünger hauptsächlich politische Aufsätze publiziert und – im Rahmen seiner Tätigkeit als Leutnant der Reichswehr – militärwissenschaftliche Fachbeiträge (Über Angriffsgeschwindigkeit). Zwischen 1920 und 1922 hatte Jünger aufgrund seiner großen Erfahrungen als Frontoffizier an der Heeresdienstvorschrift für die Infanterie mitgewirkt. Seine beiden bis zu diesem Zeitpunkt erschienenen Bücher hatten diaristischen und essayistischen Charakter. In Stahlgewittern, mit dem Untertitel Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers, war 1920 erschienen und basierte auf den kleinen Notizheftchen, die der Frontsoldat im Schützengraben stets mit sich geführt hatte.

Die Zeitungs-Erzählung schildert das Fronterlebnis von Leutnant Sturm, der im Labyrinth der Schützengräben einen Zug befehligt. Da ihm seine Aufgabe, vor allem durch die Art des abwartenden Stellungskampfes, viel Zeit lässt, kann er sich ausgiebig mit schönen Dingen beschäftigen. Sturm trägt offensichtlich starke autobiographische Züge Jüngers. Diese sind so deutlich, dass sie den Verdacht erhärten, Jünger habe die Erzählung später bewusst unter den Tisch fallen lassen. Angeblich hat sie Jüngers Freund, der Sammler seiner Veröffentlichungen und Bibliograph Hans Peter des Coudres wiedergefunden. Jünger reagierte auf Nachfragen nur dandyistisch unterkühlt, er habe die Geschichte vergessen gehabt. So wurde Sturm erst exakt vier Jahrzehnte nach dem Erstdruck der Öffentlichkeit wieder zugänglich. Unter diesem Titel publizierte sie 1963 William Matheson als Oltner Liebhaberdruck. Das Buch begründete dann eine ganze Reihe feinster bibliophiler Bände, darunter auch noch einige aus Jüngers Feder. Die Auflage dieser wertvollen Ausgabe von Sturm betrug insgesamt nur 666 Exemplare, gedruckt „in der Bembo-Antiqua auf Zerkall-Bütten“. Das Impressum betont, dass die Auflage einmalig sein sollte. Auch an die modernen Dandys hatte man gedacht: „55 Ex. sind als Ganzlederbde., 105 als Halblederbde. in rotem Maroquin gebunden und v. Dichter signiert.“ Viele der Ganzlerderbände wurden von Jünger mit einer zusätzlichen persönlichen Widmung an Freunde verschenkt; diese und auch die Halblederexemplare kosten heute im Antiquariat mehrere hundert Euro und sind äußerst gesuchte Sammlerstücke. Durch geringe Auflage und hohen Preis blieb die Novelle also weiterhin nur einem begrenzten Kreis von Lesern zugänglich. Das sollte sich erst 1979 ändern, mit der Aufnahme in die Sämtlichen Werke. Seitdem ist Sturm in der hier vorgestellten Buchausgabe erhältlich. Jünger verlieh seiner kleinen Erzählung also nicht nur mittels rotem Maroquin einen Dandytouch, sondern auch durch sein Versteckspiel.

„Die Stunden vor der Abenddämmerung pflegten die Zugführer der dritten Kompanie gemeinschaftlich zu verbringen“, lautet der – bei jeder Erzählung essentielle – erste Satz. Er deutet Jüngers Sehnsucht einer tiefen menschlichen Verbindung zu den wenigen Besonderen an, wie er sie dann sechs Jahre später im Abenteuerlichen Herzen formulierte: „Der Glaube an die Einsamen entspringt der Sehnsucht nach einer namenloseren Brüderlichkeit, nach einem tieferen geistigen Verhältnis, als es unter Menschen möglich ist.“

Die drei befreundeten Offiziere Sturm, Hugershoff und Döhring treffen sich an den meisten Abenden und in vielen Nächten, um angeregte Gespräche zu führen. Obwohl sie sich in einem staubigen und kellerartigen Unterstand zusammenfinden, lassen sie sich Kultur und Lebensart nicht nehmen. Man zündet Kerzen an und öffnet eine Flasche guten Rotweins. Die Themen drehen sich dabei vorwiegend um Literatur und Kunst. Allen dreien ist ihre Affinität zu den Autoren des Fin de siècle, der sogenannten Décadence, gemein. Jünger sagt ganz offen, wer die Säulenheiligen sind: „Juvenal, Rabelais, Lli-tai-pe, Balzac und Huysmans unbedingt.“ Da sie äußerst belesen sind, gleichen ihre Zusammenkünfte intellektuellen Bibliotheksreisen. Sie stellen ihren Ästhetizismus der apokalyptischen Realität entgegen. Draußen fliegen die Granaten umher und könnten in jeder Sekunde das Leben der Grabendandys beenden. Und Sturm beschäftigt geistig, wie er seine sublimen Gedanken, fein und empfindlich wie die ersten Frühlingsblüten, in perfekter Form zu Papier bringen kann. „Er schrieb zur Zeit an einer Reihe von Novellen, in denen er versuchte, die letzte Form des Menschen in ihren feinsten Ausstrahlungen auf lichtempfindliches Paper zu bringen.“ Allerdings zu glauben, diese Schilderung sei ein Jüngerscher Wunschtraum gewesen, ist ein Irrtum. Denn tatsächlich existieren Photos, auf denen Jünger in seinem Unterstand inmitten von Büchern sitzt. Dem entsprechen auch seine eigenen Beschreibungen in den Stahlgewittern, wo er davon spricht, im Schützengraben Laurence Sternes ironischen Gesellschaftsroman Leben und Ansichten von Tristram Shandy neben anderen Büchern gelesen zu haben. Und der umfasst immerhin über siebenhundert Seiten.

Sturm ist in der Erzählung der geistige Anführer der drei. Er liest und schreibt viel, führt einen regen Briefwechsel. Jünger gibt seinem Protagonisten somit eine der essentiellsten Dandyattitüden mit: All die geschilderten Tätigkeiten haben vor allem einen Zweck: die Flucht aus der Zeit und ihren Verhältnissen. Ob Brummell oder Montesquiou, Wilde oder Wainewright, von ihnen allen ist überliefert, dass sie sich in dem Jahrhundert, in dem sie lebten, nicht zu Hause fühlten. Brummell beschwor die Aristokratie der zurückliegenden Zeit, Wainewright sehnte sich, wie vielleicht auch Wilde, zurück zu den alten Griechen. Baudelaire war einer der grundlegenden theoretischen Kritiker von Moderne und Demokratie. Er besaß eine seismographische Wahrnehmung für die immer weitergehenden Anmaßungen einer modernen Massengesellschaft. Heute können wir erst recht ein Lied davon singen. So steht hinter dem dandyistischen Zeitbewusstsein auch die romantische Sehnsucht, sich mittels einer adligen Ästhetik der allgemeinen Gleichmacherei entgegenzuwerfen. Wenn der Dandy schon im Strudel einer untergehenden Welt steht, dann will er wenigstens mit Würde untergehen.

Beschreibt Jünger mit Sturm sich selbst, so ist man bei Döhring an Oscar Wilde erinnert. Genussvoll sinniert Sturm über die Art des Gesprächs zwischen den beiden Kameraden Hugershoff und Döhring. Während Hugershoff eher eine rationale, alle Argumente einbeziehende und geschickt nutzende Überzeugungstaktik besitzt, sind Dörings Ausführungen rhetorische Meisterleistungen Wildeschen Formats. Jüngers/Sturms Schilderung von Döring erinnert an die Beschreibungen der berühmten Tischgespräche von Wilde. „Döring […] legte sichtlich mehr auf die geglättete Form des Wortes als auf das Ergebnis des Gespräches Wert. Er wechselte seinen Standpunkt nach Belieben und sprang den Gegner geschmeidig aus den verschiedensten Positionen an. Dabei beschränkte er sich keineswegs auf die Oberfläche, er blendete, ohne Causeur zu sein. Diese Methode wandte er allerdings nur Leuten gegenüber an, die er schätzte; bei anderen schloss er sich vollkommen der Meinung der Gegenseite an und erstickte damit jede Möglichkeit einer unangenehmen oder zwecklosen Auseinandersetzung im Keim.“ So schildert Jünger mit den drei Frontoffizieren auch drei verschiedene Typen von Dandys. Und dann gibt es da noch Tronck, den vor allem äußerlichen Dandy. „Äußerlich schien er unbeteiligt und glatt, ein Dreißigjähriger, der in der eleganten Erscheinung seine Aufgabe sieht.“ Er ist in seinem Erscheinungsbild ganz Gentleman, denn: „Obwohl er unauffällig gekleidet war, zog er die Blicke der Menge an“. Bei den gewöhnlichen Menschen löste Tronck Reaktionen zwischen Bewunderung und Irritation aus. Jünger macht deutlich, dass der Masse die Subtilität des Dandys verborgen bleibt: „Ein guter Beobachter musste erkennen, dass Tronck sich mehr für sich selbst anzog als für andere.“ Die folgende Beschreibung erinnert wiederum auffallend an diejenige, die uns Barbey d’Aurevilly von Beau Brummell überlieferte. „Nicht Form oder Farbe war das Auffallende an ihm. Sein Anzug spielte in zwei weichen Tönen auf einem Nelkenbraun, das an Kragen und Ärmeln durch die weißen Kanten der Wäsche scharf abgeschnitten wurde. Alles Farbige war auf geringe Differenzen und matte Kontraste gestimmt. Ausgesprochen war nur die Halsbinde, deren Schleife sich wie ein schillernder Falter über dem geschliffenen Steine wiegte, der die Hemdbrust schloß. Was die Form betrifft, die aus Schnitt, Falten und Würfen sprang, so war es dem Eingeweihten klar, daß hier sorgfältiger Einfluß eines Künstlers dem Handwerk des Schneiders höheren Sinn gegeben hatte.“ So ist den Grabendandys bewusst, dass die Erscheinung letztlich nicht wesensbestimmend ist. Da sie sich aber inmitten eines unvermeidlichen infernalischen Unterganges sehen, ist es das beste Rezept, ästhetisch-stilvoll unterzugehen. Baudelaire und Huysmans hatten es zuvor beschrieben. Die letzthinnige Leere des Lebens, die schon Huysmans so folgenreiche Romanfigur Des Esseintes so konsequent vorgelitten hatte, wird von Sturm im sinnlosen Gemetzel des Grabenkrieges als schmerzhaft-essenzloser Kampfrausch perzepiert. „Diesem Leben unter den Mündungen der Kanonen entstrahlte ein starker, betäubender Duft, wie blühenden Blumenwiesen im August. Gerade in dieser kleinen Kulturinsel inmitten der drohenden Wüstenei wurde zuweilen ein Gefühl wach, das jede Kultur vor ihrem Untergange mit dem Schimmer eines letzten und höchsten Luxus umhüllt: das Gefühl einer gänzlichen Zwecklosigkeit, eines Seins, das für kurze Zeit wie ein Feuerwerk über nächtlichen Gewässern stand.“

Baudelaire hatte den Dandy in die Literatur eingeführt als den letzten Helden, als den letzten heroischen Kämpfer, der sich mit seinem Bewusstsein der alles nivellierenden Moderne entgegenstellt. Und dieser Kampf kann nur in Einsamkeit geschehen; ein Dandy hat keinen Verbündeten. So stehen auch die Frontkämpfer auf keiner Seite. Zwar halten sie buchstäblich ihre Köpfe für Deutschland hin, ihnen ist aber bewusst, dass es letztendlich gleichgültig ist, „hinter welchen Fahnen man steht“. Denn das, wonach sie streben, ist ausschließlich die Erhaltung des eigenen Ich, der „freien Entfaltung der Persönlichkeit inmitten der straffsten Bindung, die man sich denken kann“.

In unverholener Weise macht die kleine Erzählung die Bezüge des späteren Jahrhundert-Autors zu Décadence und Dandytum deutlich.

geschrieben am 20.03.2007 | 1514 Wörter | 9378 Zeichen

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