ISBN | 3828030763 | |
Autor | René Sommer | |
Verlag | Frieling Verlag | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 60 | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Extras | - |
Die Gedichte führen in eine Welt aus bunten Tieren und zahlreichen Figuren, die mit den Energien der Neugier und der Kraft der Imagination den Zugang zu allen popkulturellen Phänomenen der Menschheit öffnen.
Sommer hat eine höchst eigenwillige Weise, Gedichte zu schreiben. Er fixiert eine Idee niemals begrifflich oder spricht sie aus, sondern setzt sie in Bilder um. Die Neigung zum Irrealen ist die logische Folge dieser Umsetzung. Er erfindet den Dichter Johann Sebastian Huch, der die Sprache so präzise bearbeitet, als wäre sie die Stimme in einer Partitur, Note für Note. Dieses unablässige Ringen verändert sein Denken, krempelt die Wahrnehmung um, bestimmt das Leben: Comics, Träume, archetypische Figuren aus allen Bereichen der Popkultur, der Literatur und der Kunst brechen das einseitig konsumorientierte Weltbild auf und schaffen Raum für Fantasie und Kreativität, in welchem die Lesenden den ganzen Reichtum und die Farben verschiedener möglicher Welten erleben.
Sommer sieht die Welt mit den Augen fliegender Tiere und erschließt den Lesenden ganz neue Sichtweisen. „Chinesische Mauer trifft Wall Street“ zu lesen, ist fast, als würde man hellwach in einen Traum geraten, wo die verglasten Türen der Bücherschränke in Spinnweben verschwinden und in Seifenblasen davonschweben:
... die Gedanken und Buchstaben,
die im Kopf der Lesenden entstehen,
wenn die fallschirmspringende Ratte kommt.
Die Sprache Sommers, seine Wendungen, die eigene Gedichtform, der Rhythmus, die Lautmusik sind erfrischend ungewohnt. Er schreibt im Gedicht „Wenn Wörter sprechen können“:
... Im Kraftfeld der Wörter hört er
vor allem mit den Augen.
Die Lektüre verführt zu einem geistigen Abenteuer. Die Lesenden beginnen mit einem Gedicht und sind ein paar Augenblicke später in einer völlig anderen Dimension. Wie in einem Traum dauert es geraume Zeit, bis man merkt, dass bei der einfachen Sprache, die fast alltäglich daherkommt, dauernd leicht die Perspektive verschoben wird, bis man sich unversehens in Huchs fantastische Welt verirrt hat. Alle Details sind so vernetzt durchdacht, bis das Rätselhafte völlig selbstverständlich wirkt:
... Statt Gold regnen Notenblätter
aus dem Konzertflügel herab, der kopfüber
mit halb geöffnetem Deckel und den Beinen nach oben,
wie ein gefesselter großer Vogel
über der Wall Street hängt.
Sommers Poesie befreit die Musik und die Sprache aus den Fesseln des Konsumwahnsinns. Alle Lebewesen und Dinge stehen ja nicht ausschließlich im Verhältnis zu den Verbrauchenden. Sommer sprengt die Mauern und Wälle, welche das Denken begrenzen, und gibt den Dingen ihre Autonomie zurück. Und wenn Huchs Welt wie eine Verkettung von lauter Unwahrscheinlichkeiten wirkt, so ist das ganz im Sinn seiner Philosophie und macht „Chinesische Mauer trifft Wall Street“ zu einem höchst lesenswerten Buch.
geschrieben am 22.01.2015 | 415 Wörter | 2400 Zeichen
Kommentare zur Rezension (0)
Platz für Anregungen und Ergänzungen