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Hammerstein oder der Eigensinn


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Rezension von

Max Bloch

Hammerstein oder der Eigensinn „Hammerstein oder Der Eigensinn“ – so lautet der Titel von Enzensbergers neuestem Werk, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorabgedruckt und von Suhrkamp mit einer großen Kampagne vermarktet. Der Titel täuscht. Denn im Grunde geht es nur beiläufig um den prominentesten Träger dieses Namens, den General der Infanterie und Reichswehrchef Kurt von Hammerstein-Equord, sondern es ist eine Familiensaga und, damit verwoben, eine „exemplarische deutsche Geschichte“, eine Geschichte, in der sich „auf kleinstem Raum alle entscheidenden Motive und Widersprüche des deutschen Ernstfalls wiederfinden" und die mithin Ausdruck der tiefen Bewusstseinskrise des 20. Jahrhunderts ist. Schon die Entstehungsgeschichte des Buches – die Trotzkistin Ruth Fischer, Schwester Hanns und Gerhard Eislers, ihr Lebensgefährte Arkadi Maslow und der ruhelose Anarchist Franz Jung haben den Autor auf dieses Thema gebracht – verweist auf die merkwürdige Symbiose, die Militäradel und kommunistische Konspiration in dieser Erzählung eingehen. „Hammersteins Töchter“ – so hätte das Buch auch heißen können. Denn im Grunde sind sie es, die den Rhythmus der Erzählung bestimmen. In dem „sympathischen Chaos“ des Hammersteinschen Hauses aufgewachsen, fanden die drei ältesten Töchter, Helga, Maria Therese und Marie Luise, durch Jugendbewegung, antibürgerliche Lagerfeuerromantik, zur KPD. Die Liebe zu einem jüdischen Berufsrevolutionär spielte hierbei eine große Rolle (wobei unklar bleibt, ob er – als früher Romeo-Agent – vom Nachrichtendienst der Partei auf die Töchter des Generals angesetzt worden sein könnte). Sie kopierten Akten aus Vaters Schreibtisch, fertigten Nachschlüssel zum Geldschrank an, leisteten Kurierdienste und stellten so einen direkten Zugang der KPD zu den Dienstgeheimnissen der Reichswehr her. Der General, der als ebenso hell- wie nachsichtig gezeichnet wird, kümmerte sch um das Treiben seiner Töchter offenkundig kaum. Das ist eine Konstellation, die tatsächlich außerhalb des Gewöhnlichen liegt und die die Historiker, so Enzensberger, schlichtweg verschlafen hätten. Wie schon in seinem großen Durruti-Roman von 1972 („Der kurze Sommer der Anarchie“) bedient sich Enzensberger auch hier der Technik eines fiktionalen Realismus, die bei dem spanischen Anarchistenführer ebenso verfängt wie bei dem preußischen General, dessen „Eigensinn“, anders als der Titel vermuten lässt, die Grenzen des Komments jedoch nie verlassen hat: Als konservativer und durch und durch unpolitischer Offizier hatte er für die Nazis nur Verachtung übrig. Durch seinen Abschied 1934 setzte er zwar ein sichtbares Zeichen seiner inneren Reserve, hat sich – auch nach der Ermordung seines Freundes Schleicher – zur Tat hingegen nie entschlossen. Damit steht er exemplarisch für die Repräsentanten einer militärischen Macht, die den Katastrophenkurs der nationalsozialistischen Diktatur gesehen, getadelt und dennoch weitestgehend und viel zu lange mitgetragen haben. Hammersteins private Ausfälle gegen die Hitlersche Politik als Widerstandsakte zu verkaufen, geht am historischen Kern vorbei. Die Familie Hammerstein hat fast alles erlebt, was im 20. Jahrhundert erlebt werden konnte: die Salons der Gesellschaft und die Baracken der Konzentrationslager, die ideologische Versuchung und die bittere Ernüchterung, Verrat und Hilfsbereitschaft, Heimatlosigkeit und Vaterlandsliebe, Abenteuerlust und Pflichterfüllung, Verstrickung und Rebellion. In dieses Schicksal hat sich der Autor mit einer Hartnäckigkeit versetzt, von der die verschiedentlich eingestreuten „posthumen Gespräche“ zeugen. Als (Hinter-)Fragender nähert er sich seinem Personal, tritt in einen Dialog mit der Vergangenheit ein und sucht das allzu preußische „Schweigen der Hammersteins“ durch beharrliches Nachhaken zu brechen. Damit vermittelt er einen Eindruck jener historischen Vielschichtigkeit, auf die es keine einfachen Antworten gibt und die nie ohne Rest aufgeht. Aber vielleicht, so mutmaßt Enzensberger, „ist es dieser Rest, auf den es ankommt“. Eine zum Nach- und Weiterdenken anregende, spannende und kurzweilige Lektüre!

„Hammerstein oder Der Eigensinn“ – so lautet der Titel von Enzensbergers neuestem Werk, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorabgedruckt und von Suhrkamp mit einer großen Kampagne vermarktet. Der Titel täuscht. Denn im Grunde geht es nur beiläufig um den prominentesten Träger dieses Namens, den General der Infanterie und Reichswehrchef Kurt von Hammerstein-Equord, sondern es ist eine Familiensaga und, damit verwoben, eine „exemplarische deutsche Geschichte“, eine Geschichte, in der sich „auf kleinstem Raum alle entscheidenden Motive und Widersprüche des deutschen Ernstfalls wiederfinden" und die mithin Ausdruck der tiefen Bewusstseinskrise des 20. Jahrhunderts ist. Schon die Entstehungsgeschichte des Buches – die Trotzkistin Ruth Fischer, Schwester Hanns und Gerhard Eislers, ihr Lebensgefährte Arkadi Maslow und der ruhelose Anarchist Franz Jung haben den Autor auf dieses Thema gebracht – verweist auf die merkwürdige Symbiose, die Militäradel und kommunistische Konspiration in dieser Erzählung eingehen.

„Hammersteins Töchter“ – so hätte das Buch auch heißen können. Denn im Grunde sind sie es, die den Rhythmus der Erzählung bestimmen. In dem „sympathischen Chaos“ des Hammersteinschen Hauses aufgewachsen, fanden die drei ältesten Töchter, Helga, Maria Therese und Marie Luise, durch Jugendbewegung, antibürgerliche Lagerfeuerromantik, zur KPD. Die Liebe zu einem jüdischen Berufsrevolutionär spielte hierbei eine große Rolle (wobei unklar bleibt, ob er – als früher Romeo-Agent – vom Nachrichtendienst der Partei auf die Töchter des Generals angesetzt worden sein könnte). Sie kopierten Akten aus Vaters Schreibtisch, fertigten Nachschlüssel zum Geldschrank an, leisteten Kurierdienste und stellten so einen direkten Zugang der KPD zu den Dienstgeheimnissen der Reichswehr her. Der General, der als ebenso hell- wie nachsichtig gezeichnet wird, kümmerte sch um das Treiben seiner Töchter offenkundig kaum. Das ist eine Konstellation, die tatsächlich außerhalb des Gewöhnlichen liegt und die die Historiker, so Enzensberger, schlichtweg verschlafen hätten.

Wie schon in seinem großen Durruti-Roman von 1972 („Der kurze Sommer der Anarchie“) bedient sich Enzensberger auch hier der Technik eines fiktionalen Realismus, die bei dem spanischen Anarchistenführer ebenso verfängt wie bei dem preußischen General, dessen „Eigensinn“, anders als der Titel vermuten lässt, die Grenzen des Komments jedoch nie verlassen hat: Als konservativer und durch und durch unpolitischer Offizier hatte er für die Nazis nur Verachtung übrig. Durch seinen Abschied 1934 setzte er zwar ein sichtbares Zeichen seiner inneren Reserve, hat sich – auch nach der Ermordung seines Freundes Schleicher – zur Tat hingegen nie entschlossen. Damit steht er exemplarisch für die Repräsentanten einer militärischen Macht, die den Katastrophenkurs der nationalsozialistischen Diktatur gesehen, getadelt und dennoch weitestgehend und viel zu lange mitgetragen haben. Hammersteins private Ausfälle gegen die Hitlersche Politik als Widerstandsakte zu verkaufen, geht am historischen Kern vorbei.

Die Familie Hammerstein hat fast alles erlebt, was im 20. Jahrhundert erlebt werden konnte: die Salons der Gesellschaft und die Baracken der Konzentrationslager, die ideologische Versuchung und die bittere Ernüchterung, Verrat und Hilfsbereitschaft, Heimatlosigkeit und Vaterlandsliebe, Abenteuerlust und Pflichterfüllung, Verstrickung und Rebellion. In dieses Schicksal hat sich der Autor mit einer Hartnäckigkeit versetzt, von der die verschiedentlich eingestreuten „posthumen Gespräche“ zeugen. Als (Hinter-)Fragender nähert er sich seinem Personal, tritt in einen Dialog mit der Vergangenheit ein und sucht das allzu preußische „Schweigen der Hammersteins“ durch beharrliches Nachhaken zu brechen. Damit vermittelt er einen Eindruck jener historischen Vielschichtigkeit, auf die es keine einfachen Antworten gibt und die nie ohne Rest aufgeht. Aber vielleicht, so mutmaßt Enzensberger, „ist es dieser Rest, auf den es ankommt“. Eine zum Nach- und Weiterdenken anregende, spannende und kurzweilige Lektüre!

geschrieben am 26.01.2008 | 557 Wörter | 3531 Zeichen

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