ISBN | 3406667511 | |
Autor | Anthony Doerr | |
Verlag | C.H.Beck | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 519 | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Extras | - |
Das Buch beginnt mit dem Angriff der Alliierten auf die noch von den Deutschen besetzte bretonische Stadt Saint-Malo. In dieser Stadt befinden sich 1944 zwei junge Menschen, die Protagonisten des folgenden opulenten Romans von Anthony Doerr: die seit dem sechsten Lebensjahr blinde Marie-Laure LeBlanc und der deutsche Werner Hauser. Wie die beiden dorthin kamen und in welche jeweilige Situation wird im Laufe der folgenden Kapitel beschrieben, ebenso ihre fast schon zufÀllige Zusammenkunft.
Der Roman arbeitet immer wieder mit ZeitsprĂŒngen und erzĂ€hlt so stĂŒckweise die Geschichte und Herkunft der beiden bis zu ihrer Ankunft in der Gegenwart, in den letzten Monaten des zweiten Weltkrieges. Werner Hausner ist ein Waisenjunge und wohnt mit seiner Schwester bei Frau Elena in einem kleinen Waisenhaus. Der Vater der beiden ist in einer Kohlegrube ums Leben gekommen. Werner begeistert sich fĂŒr Technik und schafft es, ein RadiogerĂ€t aus einfachsten Bauteilen zu konstruieren. Mit der Zeit spricht sich sein Talent herum und er wird von verschiedenen Leuten zur Reparatur ihrer Radio- und sonstigen GerĂ€te gerufen. Dies geschieht wĂ€hrend der 30er Jahre und als einer der lokalen Parteioberen auf ihn aufmerksam wird, erhĂ€lt er sogar die Chance auf eine besondere Parteischule zu gehen und so der Arbeit in den Kohlegruben zu entkommen. Den Aufnahmetest besteht er, wird darĂŒber jedoch uneins mit seiner Schwester, was ihm bis zuletzt Kummer bereitet. In der Schule wird er vor stĂ€ndige innere PrĂŒfungen gestellt, wenn andere schikaniert und ausgesiebt werden, oder Gewalt gegen Unschuldige ausgeĂŒbt wird. Der dortige Physiklehrer konstruiert mit UnterstĂŒtzung von Werner ein GerĂ€t zum AufspĂŒren von Funksendern, das gegen Partisanen eingesetzt werden soll. Er beordert Werner spĂ€ter in eine Sondereinheit der Armee, wo er mit einem Ă€lteren Schulkollegen, Volkheimer, von da an durch das Reichs- und Kriegsgebiet fĂ€hrt, um ebensolche Feindsender aufzuspĂŒren. Am Ende landet er in Saint-Malo, wo ein besonders aktiver Sender des Widerstands vermutet wird.
Dieser Sender gehört dem Onkel von Marie-Laure, Etienne LeBlanc. Dieser lebt abgeschottet in seinem Haus in der Altstadt und kann seine Erlebnisse aus dem ersten Weltkrieg immer noch nicht recht verarbeiten. Marie-Laure muss nach der Eroberung von Paris durch die Deutschen dennoch mit ihrem Vater dorthin flĂŒchten. Ihr Vater war in Paris im Naturkundemuseum beschĂ€ftigt und hat von dort eines der wertvollsten Exponate, einen Edelstein mit sagenumwobener Geschichte, mit auf den Weg bekommen. Diesen versteckt er in einer Miniaturnachbildung von Saint-Malo, das er seiner Tochter zusammenbaut, damit diese sich in der fĂŒr sie fremden Stadt zurechtfindet. Der Vater wird spĂ€ter verleumdet und verhaftet, sodass Marie-Laure und Etienne auf sich gestellt sind. Die HaushĂ€lterin beteiligt sich konspirativ am Widerstand und Etienne sendet mit einem geheimen FunkgerĂ€t auf dem Dachboden des Hauses Koordinaten, Zahlen und Botschaften in den Ăther. Ebendiese soll Werner lokalisieren.
Als dritte Figur gibt es noch den Offizier von Rumpel, der zum einen als Kunstexperte quer durch die besetzten Gebiete reist, um fĂŒr das geplante FĂŒhrermuseum in Linz und fĂŒr sonstigen Bedarf der Oberen wertvolle KunstgegenstĂ€nde, Pretiosen und AntiquitĂ€ten zu finden und zu beschlagnahmen. Selbst an einem Krebsleiden laborierend liegt ihm besonderes daran, den von Marie-Laures Vater gehĂŒteten Edelstein zu finden, dem heilende Wirkung zugesprochen wird. Am Ende kommt es zu einem Showdown mit Rumpel, Marie-Laure und Werner im Haus von Etienne.
Das danach folgende Ende, das ebenso wenig wie der Ausgang des Showdowns verraten werden soll, ist fĂŒr den Leser emotional teilweise enttĂ€uschend, aber nachvollziehbar und konsequent. Wie schon das ganze Buch ĂŒber stehen am Ende der Krieg und das situative Erleben insbesondere durch Kinder und Jugendliche als groĂe Metapher fĂŒr die Verschwendung und Vergeudung von menschlichem Leben.
In einer Art Epilog schwenkt die ErzĂ€hlung dann wieder zu Werners Schwester Jutta und ihr Leben am Ende des Krieges und danach sowie die einzige Begegnung mit Marie-Laure. Auch dies ist konsequent und emotional eingĂ€ngig konstruiert, wenngleich ich das kleine und furchtbare Kapitel ĂŒber Juttas Zeit in Berlin zur Zeit des Sowjeteinmarsches schlicht ĂŒberflĂŒssig fĂŒr den Roman finde.
Im Ăbrigen birgt das Buch eine zwar lange, nie aber langatmige Geschichte mit schön gezeichneten Charakteren, deren Konfrontation mit dem Krieg auf innerer und Ă€uĂerer Ebene sehr gut nachvollzogen werden kann. Das eigentliche Kriegsgeschehen, mögliche Debatten ĂŒber Schuld, Leid und Ursachenforschung bleiben ĂŒberwiegend auĂen vor und belasten nicht die Entwicklung der ganz besonderen AtmosphĂ€re, in der sich die beiden jungen Protagonisten durch diese Zeit schlagen. Durch die zeitlichen SprĂŒnge und die teilweise sehr kurzen Kapitel kommt beim Leser nie Langeweile auf und man kann sich ganz in den Bann der ErzĂ€hlung begeben. Die Sprache bedient sich immer wieder groĂartigen Metaphern und bietet dem Leser neben der Beschreibung der RealitĂ€t auch AusflĂŒge in die Meta-Ebene der Figuren. Dies sorgt fĂŒr eine ganz beeindruckende Verdichtung des Leseerlebnisses. Insgesamt ein sehr lesenswerter Roman.
geschrieben am 14.11.2014 | 775 Wörter | 4543 Zeichen
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