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Krieg


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Rezension von

Thomas Stumpf

Krieg Der neue Roman „Krieg“ von Jochen Rausch ist nicht weniger als eine sprachliche und emotionale Offenbarung. Die tiefgründige Geschichte handelt vom deutschen Lehrerehepaar Arnold und Karen Steins, das zusehen muss, wie ihr einziges Kind, Sohn Chris, sich freiwillig zur Bundeswehr meldet und in den Afghanistankrieg zieht; aus dem er nicht mehr zurückkehren wird. Diese Geschichte wird in einzeln montierten Szenen und dem Mittel der Rückblende nach und nach erzählt, während zugleich die aktuelle Handlung, aus welcher die Rückblicke erfolgen, voranschreitet. Das ist erzählerisch toll umgesetzt. Die aktuelle Handlung der völlig in der Gegenwartsform gehaltenen Erzählung zeigt uns Arnold Steins, der sich nach den tragischen Wendungen in seinem Leben als Einsiedler in eine abgelegene Waldhütte auf einen winterlichen Berg zurückgezogen hat. Dort lebt er in völliger Abgeschiedenheit alleine mit seinem Hund. Eines Tages kehrt Steins von einem seiner seltenen Ausflüge in die nahe Stadt, in welcher er gelegentlich kleine notwendige Erledigungen tätigt, in seine Hütte zurück, nur um festzustellen, dass diese während seiner Abwesenheit von einem Unbekannten aufgebrochen wurde und das Interieur und das alte Radio dem Vandalismus anheimgefallen sind. Der Hund wird grausam und hinterhältig mit einem Bolzenschussgerät verletzt. Arnold Steins macht den illegal im Wald hausenden unbekannten Täter auf einer seiner Touren ausfindig und stellt ihm von nun an nach, um es ihm heimzuzahlen. Der Unbekannte schlägt immer wieder zurück. Die Situation eskaliert, als Steins die illegale Behausung des Unbekannten abfackelt und schließlich gerät alles völlig außer Kontrolle. Auf die Bolzen folgt ein Messer, folg ein Molotow-Cocktail, folgt schließlich ein Gewehr. Steins führt nun seinen ganz privaten Krieg gegen den namenlosen Unbekannten, der bis zum Ende für den Leser gesichtslos bleibt, ebenso wie dessen Motive. Das macht die Situation umso beklemmender und steht vielleicht auch stellvertretend für die Anonymität Krieges, wie die sinnlosen und unmotivierten Gewaltakte des Unbekannten vielleicht für die Sinnlosigkeit des Krieges generell stehen. In den geschickt gemachten Rückblenden erfahren wir viel über die Beziehung der Eheleute Steins zueinander und zu ihrem Sohn. Wir lernen auch Chris ein wenig näher kennen und seine ihn innig liebende Freundin. Wir leiden mit der Familie, die ihren Sohn in einem anonymen und völlig sinnentleerten Krieg in einem fremden Land weiß. Der Name Afghanistan fällt an keiner Stelle des Buchs, doch wissen wir, dass es um diesen Einsatz geht und Krieg geführt wird gegen „die Männer mit Bärten“. Chris schreibt Mails aus dem Krieg an seinen Vater, berichtet von der Langeweile und der Anspannung, von schlimmen Erlebnissen, die man der Mutter besser verschweigen sollte. Karen Steins kommt mit der Situation überhaupt nicht zurecht und vergeht in ihrer Angst. Sie zieht sich immer mehr zurück, erlaubt sich keinerlei Vergnügen oder Ablenkung, kann nicht mehr arbeiten. Sie leidet, greift zum Alkohol, versagt sich jegliches gesellschaftliche Leben, das Eheleben kommt zum Erliegen. Die Angst um ihr Kind lähmt sie vollkommen. Die Tage bis zur Rückkehr des Sohnes ziehen sich in die Länge. Arnold Steins versucht, alles aufrecht zu erhalten und Sohn und Frau zu stützen – bis die Nachricht vom Tod des Sohnes eintrifft. Im Buch eine quälend langsame Sequenz, in der ein militärischer Seelsorger und ein Soldat die Familie zuhause besucht, um die Nachricht mit sinnlosen Phrasen und Worthülsen zu überbringen. Für die Steins bricht eine Welt zusammen, der Verlust ist unerträglich. Kurz darauf kommt auch Karen Steins zu Tode, ertrinkt im nahegelegenen zugefrorenen See. Es sieht nach Unfall aus, wir wähnen aber den unausgesprochen im Raum stehenden Freitod der verzweifelten Frau. Auch hier zeigt sich Rauschs großes schriftstellerisches Können, Wirkung zu erzielen mit den Dingen, die er gerade nicht zu Papier bringt, sondern zwischen den Zeilen versteckt. Es bleibt alleine der Hund, mit dem Arnold Steins sein bisheriges Leben aufgibt und zum Einsiedler wird. Der Krieg im Ausland selbst bleibt im Grunde erzählerisch außen vor. Nur über die wenigen E-Mails gelangen einzelne Bruchstücke davon ans Tageslicht. Es geht aber nicht um den Krieg als solchen, sondern um den in den Krieg gezogenen jungen Chris Steins. Es ist kein politisches Buch, wenngleich es die politische Realität aufgreift. Angst ist ein zentrales Thema der Erzählung, bis Steins, nachdem er alles, was ihm jemals etwas bedeutet hat, verliert. Danach hat er keine Angst mehr. Die Liebe nimmt aber eine noch viel größere Rolle im Buch ein. Sie schlägt dem Leser aus nahezu jeder Seite entgegen. Wir sehen Szenen einer Ehe, Bilder eines liebevollen Familienlebens, melancholische Kindheitserinnerungen, Bruchstücke des normalen Alltagslebens und begreifen einmal mehr, dass der Verlust bereits eines einzigen Menschen eine nie zu füllende Lücke bei anderen hinterlässt. Mit sehr einfühlsamen Bildern und berührenden Sätzen lässt Rausch den Leser am Leben und Leiden seiner Charaktere teilhaben. Die Liebe der Eltern zu ihrem Kind, die Liebe der Eltern zueinander, die Liebe des Sohnes zu seiner Freundin werden ganz menschlich und völlig kitschfrei offenbart und der Leser wird Zeuge, wie alles durch den Krieg zerstört wird. In Rauschs Roman gehen Liebe und Verlust Hand in Hand. Deutsche Soldaten sterben bei Auslandseinsätzen. Rausch thematisiert diese Tatsache, über der noch immer der Vorhang des Tabus ruht, auf eine sehr sensible und respektvolle Weise und mittels einer emotional berührenden, reduzierten Sprache. Aktuell haben tote deutsche Soldaten und ihre Hinterbliebenen keine stark ausgeprägte Lobby und genießen nur geringe öffentliche Aufmerksamkeit. Das Buch beleuchtet die Wunden der Betroffenen, ist aber kein effekthascherischer Betroffenheitsroman mit pädagogischem Ansatz. Die Erzählung ist vielmehr ein präzises Psychogramm mit Thriller-Elementen und liefert eine geschickt und glaubwürdig arrangierte Innenansicht der Protagonisten, kombiniert mit einem spannenden Plot. Der zweite Handlungsstrang, in dem Arnold Steins gegen den unbekannten Gegner kämpft, der die letzten Rückzugspunkte und bedeutsamen Dinge in seinem Leben völlig grundlos zerstört, ist sehr spannend in bester Thriller-Manier geschrieben. Steins überkommen am helllichten Tag Amok-Phantasien und er versteht die Lebenden nicht mehr, kann an ihrer Welt nicht mehr teilhaben. Wie sie vor allem die Augen schließen, jeder weitermacht als sei nichts geschehen, ungeachtet des Schicksals seines Sohnes. So wie Karen zuvor, kommt er nicht mehr mit der Welt zurecht. Sein restliches Dasein fokussiert sich auf den Krieg mit seinem unbekannten Widersacher, bis es zum unausweichlichen Showdown kommt. Erst ganz am Ende des schwermütigen Buches stößt der Autor dann doch noch die Tür auf, zumindest einen spaltbreit, um ein wenig Sonne und Hoffnung in die Herzen scheinen zu lassen. Das Buch erinnert an einen anderen großartigen Roman mit dem Titel „Winter in Maine“ von Gerard Donovan. Die Parallelen sind auf jeden Fall vorhanden: ein Einsiedler und sein Hund, eine einsame Hütte in den stillen, verschneiten Bergen, der grausame Akt gegen die Kreatur, die gewalttätige Eskalation der Ereignisse; auch die Stimmung ist ähnlich schwermütig, wenngleich die Hintergründe andere sind. Mit „Krieg“ ist Jochen Rausch ein überaus beeindruckendes, zutiefst ergreifendes Buch von überragender sprachlicher Qualität gelungen, atmosphärisch dicht und packend erzählt. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt, aber nie den Zeigefinger hebt, das vor allem aber, dank der empathischen Gabe seines Verfassers, mitfühlen lässt. Ein absolutes Highlight des Jahres und unbedingt empfehlenswert.

Der neue Roman „Krieg“ von Jochen Rausch ist nicht weniger als eine sprachliche und emotionale Offenbarung. Die tiefgründige Geschichte handelt vom deutschen Lehrerehepaar Arnold und Karen Steins, das zusehen muss, wie ihr einziges Kind, Sohn Chris, sich freiwillig zur Bundeswehr meldet und in den Afghanistankrieg zieht; aus dem er nicht mehr zurückkehren wird. Diese Geschichte wird in einzeln montierten Szenen und dem Mittel der Rückblende nach und nach erzählt, während zugleich die aktuelle Handlung, aus welcher die Rückblicke erfolgen, voranschreitet. Das ist erzählerisch toll umgesetzt.

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Die aktuelle Handlung der völlig in der Gegenwartsform gehaltenen Erzählung zeigt uns Arnold Steins, der sich nach den tragischen Wendungen in seinem Leben als Einsiedler in eine abgelegene Waldhütte auf einen winterlichen Berg zurückgezogen hat. Dort lebt er in völliger Abgeschiedenheit alleine mit seinem Hund. Eines Tages kehrt Steins von einem seiner seltenen Ausflüge in die nahe Stadt, in welcher er gelegentlich kleine notwendige Erledigungen tätigt, in seine Hütte zurück, nur um festzustellen, dass diese während seiner Abwesenheit von einem Unbekannten aufgebrochen wurde und das Interieur und das alte Radio dem Vandalismus anheimgefallen sind. Der Hund wird grausam und hinterhältig mit einem Bolzenschussgerät verletzt. Arnold Steins macht den illegal im Wald hausenden unbekannten Täter auf einer seiner Touren ausfindig und stellt ihm von nun an nach, um es ihm heimzuzahlen. Der Unbekannte schlägt immer wieder zurück. Die Situation eskaliert, als Steins die illegale Behausung des Unbekannten abfackelt und schließlich gerät alles völlig außer Kontrolle. Auf die Bolzen folgt ein Messer, folg ein Molotow-Cocktail, folgt schließlich ein Gewehr. Steins führt nun seinen ganz privaten Krieg gegen den namenlosen Unbekannten, der bis zum Ende für den Leser gesichtslos bleibt, ebenso wie dessen Motive. Das macht die Situation umso beklemmender und steht vielleicht auch stellvertretend für die Anonymität Krieges, wie die sinnlosen und unmotivierten Gewaltakte des Unbekannten vielleicht für die Sinnlosigkeit des Krieges generell stehen.

In den geschickt gemachten Rückblenden erfahren wir viel über die Beziehung der Eheleute Steins zueinander und zu ihrem Sohn. Wir lernen auch Chris ein wenig näher kennen und seine ihn innig liebende Freundin. Wir leiden mit der Familie, die ihren Sohn in einem anonymen und völlig sinnentleerten Krieg in einem fremden Land weiß. Der Name Afghanistan fällt an keiner Stelle des Buchs, doch wissen wir, dass es um diesen Einsatz geht und Krieg geführt wird gegen „die Männer mit Bärten“. Chris schreibt Mails aus dem Krieg an seinen Vater, berichtet von der Langeweile und der Anspannung, von schlimmen Erlebnissen, die man der Mutter besser verschweigen sollte. Karen Steins kommt mit der Situation überhaupt nicht zurecht und vergeht in ihrer Angst. Sie zieht sich immer mehr zurück, erlaubt sich keinerlei Vergnügen oder Ablenkung, kann nicht mehr arbeiten. Sie leidet, greift zum Alkohol, versagt sich jegliches gesellschaftliche Leben, das Eheleben kommt zum Erliegen. Die Angst um ihr Kind lähmt sie vollkommen. Die Tage bis zur Rückkehr des Sohnes ziehen sich in die Länge. Arnold Steins versucht, alles aufrecht zu erhalten und Sohn und Frau zu stützen – bis die Nachricht vom Tod des Sohnes eintrifft. Im Buch eine quälend langsame Sequenz, in der ein militärischer Seelsorger und ein Soldat die Familie zuhause besucht, um die Nachricht mit sinnlosen Phrasen und Worthülsen zu überbringen. Für die Steins bricht eine Welt zusammen, der Verlust ist unerträglich. Kurz darauf kommt auch Karen Steins zu Tode, ertrinkt im nahegelegenen zugefrorenen See. Es sieht nach Unfall aus, wir wähnen aber den unausgesprochen im Raum stehenden Freitod der verzweifelten Frau. Auch hier zeigt sich Rauschs großes schriftstellerisches Können, Wirkung zu erzielen mit den Dingen, die er gerade nicht zu Papier bringt, sondern zwischen den Zeilen versteckt. Es bleibt alleine der Hund, mit dem Arnold Steins sein bisheriges Leben aufgibt und zum Einsiedler wird.

Der Krieg im Ausland selbst bleibt im Grunde erzählerisch außen vor. Nur über die wenigen E-Mails gelangen einzelne Bruchstücke davon ans Tageslicht. Es geht aber nicht um den Krieg als solchen, sondern um den in den Krieg gezogenen jungen Chris Steins. Es ist kein politisches Buch, wenngleich es die politische Realität aufgreift. Angst ist ein zentrales Thema der Erzählung, bis Steins, nachdem er alles, was ihm jemals etwas bedeutet hat, verliert. Danach hat er keine Angst mehr. Die Liebe nimmt aber eine noch viel größere Rolle im Buch ein. Sie schlägt dem Leser aus nahezu jeder Seite entgegen. Wir sehen Szenen einer Ehe, Bilder eines liebevollen Familienlebens, melancholische Kindheitserinnerungen, Bruchstücke des normalen Alltagslebens und begreifen einmal mehr, dass der Verlust bereits eines einzigen Menschen eine nie zu füllende Lücke bei anderen hinterlässt. Mit sehr einfühlsamen Bildern und berührenden Sätzen lässt Rausch den Leser am Leben und Leiden seiner Charaktere teilhaben. Die Liebe der Eltern zu ihrem Kind, die Liebe der Eltern zueinander, die Liebe des Sohnes zu seiner Freundin werden ganz menschlich und völlig kitschfrei offenbart und der Leser wird Zeuge, wie alles durch den Krieg zerstört wird. In Rauschs Roman gehen Liebe und Verlust Hand in Hand. Deutsche Soldaten sterben bei Auslandseinsätzen. Rausch thematisiert diese Tatsache, über der noch immer der Vorhang des Tabus ruht, auf eine sehr sensible und respektvolle Weise und mittels einer emotional berührenden, reduzierten Sprache. Aktuell haben tote deutsche Soldaten und ihre Hinterbliebenen keine stark ausgeprägte Lobby und genießen nur geringe öffentliche Aufmerksamkeit. Das Buch beleuchtet die Wunden der Betroffenen, ist aber kein effekthascherischer Betroffenheitsroman mit pädagogischem Ansatz. Die Erzählung ist vielmehr ein präzises Psychogramm mit Thriller-Elementen und liefert eine geschickt und glaubwürdig arrangierte Innenansicht der Protagonisten, kombiniert mit einem spannenden Plot.

Der zweite Handlungsstrang, in dem Arnold Steins gegen den unbekannten Gegner kämpft, der die letzten Rückzugspunkte und bedeutsamen Dinge in seinem Leben völlig grundlos zerstört, ist sehr spannend in bester Thriller-Manier geschrieben. Steins überkommen am helllichten Tag Amok-Phantasien und er versteht die Lebenden nicht mehr, kann an ihrer Welt nicht mehr teilhaben. Wie sie vor allem die Augen schließen, jeder weitermacht als sei nichts geschehen, ungeachtet des Schicksals seines Sohnes. So wie Karen zuvor, kommt er nicht mehr mit der Welt zurecht. Sein restliches Dasein fokussiert sich auf den Krieg mit seinem unbekannten Widersacher, bis es zum unausweichlichen Showdown kommt. Erst ganz am Ende des schwermütigen Buches stößt der Autor dann doch noch die Tür auf, zumindest einen spaltbreit, um ein wenig Sonne und Hoffnung in die Herzen scheinen zu lassen.

Das Buch erinnert an einen anderen großartigen Roman mit dem Titel „Winter in Maine“ von Gerard Donovan. Die Parallelen sind auf jeden Fall vorhanden: ein Einsiedler und sein Hund, eine einsame Hütte in den stillen, verschneiten Bergen, der grausame Akt gegen die Kreatur, die gewalttätige Eskalation der Ereignisse; auch die Stimmung ist ähnlich schwermütig, wenngleich die Hintergründe andere sind.

Mit „Krieg“ ist Jochen Rausch ein überaus beeindruckendes, zutiefst ergreifendes Buch von überragender sprachlicher Qualität gelungen, atmosphärisch dicht und packend erzählt. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt, aber nie den Zeigefinger hebt, das vor allem aber, dank der empathischen Gabe seines Verfassers, mitfühlen lässt. Ein absolutes Highlight des Jahres und unbedingt empfehlenswert.

geschrieben am 02.12.2013 | 1141 Wörter | 6636 Zeichen

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