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Wilflinger Erinnerungen


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Wilflinger Erinnerungen Es gibt Bücher, die hinterlassen ein überaus zwiespältiges Gefühl. Man will sie nicht verreißen, - in diesem Fall schon, weil ihr Autor im November 2011 verstorben ist. Außerdem enthält das Büchlein Briefe, von denen der Kritiker annehmen kann, sie hätten ein Recht, der Allgemeinheit zugänglich gemacht zu werden. Heinz Ludwig Arnold hatte sich im bundesdeutschen Literaturbetrieb eine bedeutende Position erarbeitet: Er gründete 1962 die Zeitschrift Text + Kritik, deren Herausgeber er war, war Honorarprofessor in Göttingen und gab die dritte, völlig neu bearbeitete Auflage von Kindlers Literatur Lexikon heraus. Zwei Jahre lang, von 1961 bis 1963, war er so genannter Secretarius von Ernst Jünger. Diesen liebevollen Titel wählte der Schriftsteller für seine jungen Mitarbeiter, die für ihn in Teilzeit Sekretariatsaufgaben erfüllten. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern war die Aufgabe von Arnold bei Jünger darauf beschränkt, nach strikten Vorgaben des »Chefs« Briefe zu beantworten und die Post abzuheften. Arnolds Verhältnis zu dem 45 Jahre älteren Solitär der deutschen Dichtung ist gekennzeichnet durch diverse Brüche. Als Schüler sucht er den Kontakt zu Jünger, den er wie eine Vaterfigur anhimmelt und von dem er lernen möchte. Eine erste kurze briefliche Frage des Fans beantwortet Jünger per Postkarte. Die zweite wird schon anmaßender: Jünger solle doch bitte ein kurzes Selbstportrait für die Schülerzeitung schreiben. Der Angerufene lehnt höflich ab und schiebt Termingründe vor. Arnold lässt nicht locker und reist als 20-jähriger Bundeswehrsoldat ins abgelegene Wilflingen – per Anhalter und zu Fuß. Schnell ergab sich seine Ferien-Beschäftigung als Brief-Beantworter. Es bleibt ein Gschmäckle an Arnolds Motiven gegenüber Jünger: Nicht nur suchte er regelrecht die Nähe zum bekannten Schriftsteller. Er ließ sich die erste Nummer seiner Zeitschrift von Jüngers Freunden finanzieren. Als dieses Periodikum dann erfolgreich geworden war, wandte sich Arnold eher den Größen des bundesdeutschen Literaturbetriebes zu, mit denen Jünger wenig am Hut hatte. Die Entfremdung gipfelte dann in einer schmalen Broschüre über den einst Bewunderten mit dem Titel »Krieger, Waldgänger, Anarch«, die wenig Neues enthielt, aber Jüngers »Geschichtsflucht« geißelte. Nun bringt der Wallstein Verlag aus Arnolds Heimatstadt Göttingen Arnolds »Wilflinger Erinnerungen« heraus. Das Büchlein besteht aus zwei Teilen. Der erste sind seine Aufzeichnungen über die Zeit mit Jünger. Der zweite Teil enthält ausgewählte Briefe. Die Aufzeichnungen entsprechen in kaum veränderter Form bereits denjenigen, die Arnold dem »Ernst-Jünger-Lesebuch« vorangestellt hatte, das im vergangenen Jahr bei Klett-Cotta erschienen war und das eine subjektive Auswahl von Texten Jüngers enthält. Die Neuveröffentlichung war Gelegenheit, eine Reihe schwerer inhaltlicher Fehler zu tilgen, so die Behauptung, Jünger habe mit anderen Nationalrevolutionären 1930 im Berliner Beethovensaal eine Lesung Thomas Manns gestört. Seinen Erinnerungen hinzugefügt hat der Literaturwissenschaftler zwei heftige Kritikpunkte am Verhalten Jüngers: »[T]raurig« habe ihn gemacht, dass Jünger nicht der Ausladung von Rolf Hochhut zu der Geburtstagsfeier 1995 widersprochen habe, bei der Bundespräsident Herzog, Kanzler Kohl und Ministerpräsident Teufel zugegen waren. Vermutet wird, diese Ausladung hing zusammen mit Hochhuts wichtiger Rolle beim Rücktritt Filbingers 1978, als der Dramatiker ihm dessen Tätigkeit als Marinerichter im Zweiten Weltkrieg vorgeworfen hatte. Die zweite Kritik Arnolds an Jünger muss noch mehr Erstaunen hervorrufen: »Zum anderen hat mich verwundert, ja befremdet, daß dieser Erzprotestant in seinem 101. Jahr noch zum katholischen Glauben konvertierte. Warum?«, fragt sich Arnold und fragt weiter: »Erwartete der alte Metaphysiker vom Himmel der katholischen Kirche mehr als vom kargen Himmel der Protestanten?« Auch Oscar Wilde ist auf dem Sterbebett zum Katholizismus konvertiert, und Markus Lüpertz vor Zeiten. Was den zweiten Teil des Buches angeht, so verwundert es, dass der Brief von Gretha Jünger vom 24. Mai 1989 zwar von Arnold im ersten Teil zitiert wird, im Briefteil jedoch fehlt. Hier beklagt sich Jüngers Frau über Willy Brandt und dessen Ostpolitik. Arnold sieht die Äußerungen als Bestätigung seines Rückzugs. Als Fazit bleibt: Die Briefe Ernst Jüngers an seinen kurzzeitigen Sekretär geben einen Einblick über Jüngers Ansichten über Nachkriegsdeutschland. Sie zeugen darüber hinaus von einer zunehmenden Entfremdung.

Es gibt Bücher, die hinterlassen ein überaus zwiespältiges Gefühl. Man will sie nicht verreißen, - in diesem Fall schon, weil ihr Autor im November 2011 verstorben ist. Außerdem enthält das Büchlein Briefe, von denen der Kritiker annehmen kann, sie hätten ein Recht, der Allgemeinheit zugänglich gemacht zu werden.

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Heinz Ludwig Arnold hatte sich im bundesdeutschen Literaturbetrieb eine bedeutende Position erarbeitet: Er gründete 1962 die Zeitschrift Text + Kritik, deren Herausgeber er war, war Honorarprofessor in Göttingen und gab die dritte, völlig neu bearbeitete Auflage von Kindlers Literatur Lexikon heraus.

Zwei Jahre lang, von 1961 bis 1963, war er so genannter Secretarius von Ernst Jünger. Diesen liebevollen Titel wählte der Schriftsteller für seine jungen Mitarbeiter, die für ihn in Teilzeit Sekretariatsaufgaben erfüllten. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern war die Aufgabe von Arnold bei Jünger darauf beschränkt, nach strikten Vorgaben des »Chefs« Briefe zu beantworten und die Post abzuheften. Arnolds Verhältnis zu dem 45 Jahre älteren Solitär der deutschen Dichtung ist gekennzeichnet durch diverse Brüche. Als Schüler sucht er den Kontakt zu Jünger, den er wie eine Vaterfigur anhimmelt und von dem er lernen möchte. Eine erste kurze briefliche Frage des Fans beantwortet Jünger per Postkarte. Die zweite wird schon anmaßender: Jünger solle doch bitte ein kurzes Selbstportrait für die Schülerzeitung schreiben. Der Angerufene lehnt höflich ab und schiebt Termingründe vor. Arnold lässt nicht locker und reist als 20-jähriger Bundeswehrsoldat ins abgelegene Wilflingen – per Anhalter und zu Fuß. Schnell ergab sich seine Ferien-Beschäftigung als Brief-Beantworter.

Es bleibt ein Gschmäckle an Arnolds Motiven gegenüber Jünger: Nicht nur suchte er regelrecht die Nähe zum bekannten Schriftsteller. Er ließ sich die erste Nummer seiner Zeitschrift von Jüngers Freunden finanzieren. Als dieses Periodikum dann erfolgreich geworden war, wandte sich Arnold eher den Größen des bundesdeutschen Literaturbetriebes zu, mit denen Jünger wenig am Hut hatte. Die Entfremdung gipfelte dann in einer schmalen Broschüre über den einst Bewunderten mit dem Titel »Krieger, Waldgänger, Anarch«, die wenig Neues enthielt, aber Jüngers »Geschichtsflucht« geißelte.

Nun bringt der Wallstein Verlag aus Arnolds Heimatstadt Göttingen Arnolds »Wilflinger Erinnerungen« heraus. Das Büchlein besteht aus zwei Teilen. Der erste sind seine Aufzeichnungen über die Zeit mit Jünger. Der zweite Teil enthält ausgewählte Briefe. Die Aufzeichnungen entsprechen in kaum veränderter Form bereits denjenigen, die Arnold dem »Ernst-Jünger-Lesebuch« vorangestellt hatte, das im vergangenen Jahr bei Klett-Cotta erschienen war und das eine subjektive Auswahl von Texten Jüngers enthält. Die Neuveröffentlichung war Gelegenheit, eine Reihe schwerer inhaltlicher Fehler zu tilgen, so die Behauptung, Jünger habe mit anderen Nationalrevolutionären 1930 im Berliner Beethovensaal eine Lesung Thomas Manns gestört.

Seinen Erinnerungen hinzugefügt hat der Literaturwissenschaftler zwei heftige Kritikpunkte am Verhalten Jüngers: »[T]raurig« habe ihn gemacht, dass Jünger nicht der Ausladung von Rolf Hochhut zu der Geburtstagsfeier 1995 widersprochen habe, bei der Bundespräsident Herzog, Kanzler Kohl und Ministerpräsident Teufel zugegen waren. Vermutet wird, diese Ausladung hing zusammen mit Hochhuts wichtiger Rolle beim Rücktritt Filbingers 1978, als der Dramatiker ihm dessen Tätigkeit als Marinerichter im Zweiten Weltkrieg vorgeworfen hatte. Die zweite Kritik Arnolds an Jünger muss noch mehr Erstaunen hervorrufen: »Zum anderen hat mich verwundert, ja befremdet, daß dieser Erzprotestant in seinem 101. Jahr noch zum katholischen Glauben konvertierte. Warum?«, fragt sich Arnold und fragt weiter: »Erwartete der alte Metaphysiker vom Himmel der katholischen Kirche mehr als vom kargen Himmel der Protestanten?«

Auch Oscar Wilde ist auf dem Sterbebett zum Katholizismus konvertiert, und Markus Lüpertz vor Zeiten.

Was den zweiten Teil des Buches angeht, so verwundert es, dass der Brief von Gretha Jünger vom 24. Mai 1989 zwar von Arnold im ersten Teil zitiert wird, im Briefteil jedoch fehlt. Hier beklagt sich Jüngers Frau über Willy Brandt und dessen Ostpolitik. Arnold sieht die Äußerungen als Bestätigung seines Rückzugs.

Als Fazit bleibt: Die Briefe Ernst Jüngers an seinen kurzzeitigen Sekretär geben einen Einblick über Jüngers Ansichten über Nachkriegsdeutschland. Sie zeugen darüber hinaus von einer zunehmenden Entfremdung.

geschrieben am 29.03.2012 | 632 Wörter | 3887 Zeichen

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