ISBN | 3257229534 | |
Autor | Bernhard Schlink | |
Verlag | Diogenes | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 203 | |
Erscheinungsjahr | 1995 | |
Extras | - |
Der Roman Der Vorleser von Bernhard Schlink erzählt in 3 Teilen den Einfluss der Analphabetin Hanna Schmitz auf den 21 Jahre jüngeren Michael Berg.
Beide lernen sich kennen als Michael 15 Jahre als ist und beginnen wenig später eine Liaison, was im ersten Teil des Buches beschrieben wird. Der 2. Teil befasst sich mit dem Gerichtsverfahren gegen Hanna, die wegen ihrer Taten als Aufseherin im Konzentrationslager Auschwitz angezeigt wird. Michael wohnt als Jurastudent diesem Verfahren mit großer Aufmerksamkeit bei. Der 3. Teil beschreibt Michaels weiteres Leben bis zu dem Tag, an dem er Hanna aus der Strafvollzugsanstalt abholen möchte, sie sich aber das Leben genommen hat.
Das Buch ist aus Michaels Perspektive über seine Vergangenheit geschrieben. Der Autor berichtet glaubwürdig die zufälligen Umstände der Begegnung und die Beziehung der beiden. An kleinen Merkmalen kann der Leser erkennen, dass Hanna Analphabetin ist. Dieses Geheimnis und das Verhältnis zu einem Jungen prägen die Figur Hannas. Die Charakterzüge jeder Person werden nachvollziehbar und konsequent dargestellt. So lässt sich das Verhalten während und nach der Gerichtsverhandlung erklären. Auch Nebencharaktere, wie Michaels Vater oder eine Überlebende KZ-Inhaftierte haben eigene, spezifische Wesenszüge und Hintergründe. Die Sprache des Buches weist eine Detailgenauigkeit von Personen, wichtigen Merkmalen und Umständen auf, die den Blick für die Bedeutung einer Situation erleichtern.
Obwohl mit Ende der Beziehung bei Hannas plötzlichem Wegziehen aus Michaels Heimatstadt die Jugendliebe aus seiner Sicht vorüber ist, zieht sich jedoch die Erfahrung mit dieser älteren Frau durch sein ganzes Leben. Im Gericht fällt seinen Kommilitonen die besondere Beziehung sofort auf und in Beziehungen mit anderen Frauen kommt Michael nicht herum, sie mit Hanna zu vergleichen. Diese Verbundenheit bringt ihn auch dazu, ihr auf Kassetten Stücke vorzulesen, die er ins Gefängnis schickt und sich mit dem Problem des Analphabetismus tiefer zu beschäftigen. Die Gedanken und Gefühle Michaels sind hierbei stets schlüssig und verleiten zum Nachdenken über den Alltag von Analphabeten, die Schuld der Ausführenden im Hitlerregime und weiter kleinere Problematiken, denen der Leser im Buch begegnet. Grade die gelungene Einbettung vieler unterschiedlicher und umstrittener Thematiken macht das Buch besonders interessant.
Manche Beweggründe bleiben auch unerklärt, wie Hannas Freitod. Das Buch setzt auf die Fähigkeit des Lesers, zwischen den Zeilen zu lesen und eine Gefühlskenntnis für die Charaktere zu entwickeln. Durch die Verknüpfung mehrerer Themen zwischen den zwei Hauptpersonen und die Komplexität aller Charakter verlangt dieses Buch geradezu aufmerksam gelesen zu werden. Nachdenken ist für das komplette Verstehen dieses Romans unabdingbar. Es eignet sich auch für Diskussionen, zum Beispiel im Rahmen des Unterrichts. Nicht vergessen werden sollte vor allem die Schuldfrage aus Perspektive der Opfer, da diese, besonders im KZ-Prozess, sehr wenig erwähnt werden oder zur Sprache kommen, sodass die Gefahr besteht, Mitgefühl für die Täterpersonen dieses Romans zu stark zu entwickeln. Eine Verteidigung der Täter findet nicht statt, denn einige Bemerkungen üben deutlich Kritik aus.
Die Nuancen zwischen von angesprochenen und versteckten Aspekten macht dieses Buch zu einer gelungenen Vernetzung vieler Thematiken und ist besonders für den nachdenklichen Leser geeignet, der Bedeutungen und Emotionen zwischen den Zeilen zu schätzen weiß.
geschrieben am 17.06.2007 | 502 Wörter | 3017 Zeichen
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