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Ehrenwort


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Rezension von

Ragan Tanger

Ehrenwort Mörderische Altenpflege Es ist so ähnlich wie bei alten Weinen; je länger sie gelagert werden, umso wertvoller werden sie, umso besser schmecken sie. Ingrid Noll gehört auch zu dieser ganz besonderen Spezies der altehrwürdigen Senkrechtstarter. Weiß noch jemand, dass Loriot mit 65 Jahren seinen ersten Film überhaupt drehte? Und dass Ingrid Noll, die im beschaulichen Weinheim an der Bergstraße ihr Leben lang die solide und pflichtbewusste Ehefrau und Mutter gab, vor 20 Jahren im Alter von 55 als Schriftstellerin debütierte? Wahrscheinlich geht es den meisten so wie mir: Ingrid Noll, die mittlerweile erfolgreichste deutsche Kriminalautorin, ist scheinbar schon immer mit von der Partie. Dabei verlief ihr Leben ganz anders: Jahrzehntelange Hilfsarbeit in der Arztpraxis des Gatten, Aufzucht dreier mittlerweile erwachsener Kinder und nur im Kopf Geschichten und im Herz die Liebe für die Sprache und das geschwungene Wort. Dann also der Durchbruch: Die Kinder waren weg, die schriftstellerische Leidenschaft konnte endlich in vollen Zügen ausgeschöpft werden – und wie! Renommierte Preise, Verfilmungen, Übersetzungen in 26 Sprachen: zwölf Bücher sind es inzwischen und ein jedes hat den Hang zum Klassiker, die Fähigkeit schnell und unmissverständlich in den Bann zu ziehen, so auch der neueste Streich mit dem Titel „Ehrenwort“. Doch diese Fähigkeit zur Fesselung des Lesers ist nicht wie bei den meisten anderen Kriminalgeschichten auf eine düstere Thematik begründet, die dem bürgerlichen Anstandsmenschen die verbotene, verbrecherische Handlung, der er sich nur in der Illusion nähern darf, anbietet. Nein, bei Noll, regiert das Subtile, werden der Strafvollzug, die Gerichtsbarkeit sowie die Disziplinarorganisation per se, die Polizei, in den Hintergrund gerückt – das Sozialdrama, meist mit einer gehörigen Prise Humor und menschlicher Abgrundtiefe, regieren uneingeschränkt. Auch hier findet sich der Leser wieder – nur direkter, ehrlicher, aber nicht minder genussvoll in der eigenen Grenzüberschreitung, die er vielleicht selbst begeht. In Ehrenwort wird die Alterspflege zum Thema und recht schnell merkt jeder, wie Noll übrigens auch, die ihre über hundertjährige Mutter vier Jahre lang pflegte, dass es sich hierbei um ein ganz normales Thema der modernen Hedonismusgenerationen handelt. Opa Willy stürzt mit 90 Jahren, muss das erste Mal aus seinen eigenen Wänden ausziehen und, so bescheinigen die Ärzte, wird nie mehr zurückkehren können, höchstwahrscheinlich in wenigen Wochen sterben. Dumm nur, dass dessen Enkel Max eine Vanillepuddingkur für den Opa parat hält, die seine Lebensgeister wieder zum Leben bringt und noch dümmer, dass Sohn Harald und Schwiegertochter Petra den Ärmsten freiwillig und doch ungern in die eigenen vier Wände aufnehmen. Die Pflege beginnt, das Erbe wird anvisiert und der Mord von den beiden hinterhältig geplant. So kommt es denn dann auch zur Bluttat, allerdings ist nicht der Opa das Opfer, sondern eine dritte Person. Mehrere dieser erst einmal nicht direkt zur Familie gehörenden Persönlichkeiten machen mit ihrer Kleinkriminalität (Schutzerpressung, Wirtschaftslobbyismus) die ganze Geschichte zu einer typischen Melange, wie sie in jeder deutschen Familie vorkommen könnte und wahrscheinlich in jeder dritten auch vorkommt. Wer sich also selbst bei seinen Rachemotiven und unehrlichen Trickserien sowie seiner egoistischer Wichtigkeit ertappen möchte, sollte diese bitterböse, anrührende und mal wieder rundum gelungene Lektüre wählen, die eines beständig klarmacht: Je älter desto besser - dies gilt zumindest für Schriftstellerinnen wie Ingrid Noll.

Mörderische Altenpflege

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Es ist so ähnlich wie bei alten Weinen; je länger sie gelagert werden, umso wertvoller werden sie, umso besser schmecken sie. Ingrid Noll gehört auch zu dieser ganz besonderen Spezies der altehrwürdigen Senkrechtstarter. Weiß noch jemand, dass Loriot mit 65 Jahren seinen ersten Film überhaupt drehte? Und dass Ingrid Noll, die im beschaulichen Weinheim an der Bergstraße ihr Leben lang die solide und pflichtbewusste Ehefrau und Mutter gab, vor 20 Jahren im Alter von 55 als Schriftstellerin debütierte? Wahrscheinlich geht es den meisten so wie mir: Ingrid Noll, die mittlerweile erfolgreichste deutsche Kriminalautorin, ist scheinbar schon immer mit von der Partie.

Dabei verlief ihr Leben ganz anders: Jahrzehntelange Hilfsarbeit in der Arztpraxis des Gatten, Aufzucht dreier mittlerweile erwachsener Kinder und nur im Kopf Geschichten und im Herz die Liebe für die Sprache und das geschwungene Wort. Dann also der Durchbruch: Die Kinder waren weg, die schriftstellerische Leidenschaft konnte endlich in vollen Zügen ausgeschöpft werden – und wie! Renommierte Preise, Verfilmungen, Übersetzungen in 26 Sprachen: zwölf Bücher sind es inzwischen und ein jedes hat den Hang zum Klassiker, die Fähigkeit schnell und unmissverständlich in den Bann zu ziehen, so auch der neueste Streich mit dem Titel „Ehrenwort“.

Doch diese Fähigkeit zur Fesselung des Lesers ist nicht wie bei den meisten anderen Kriminalgeschichten auf eine düstere Thematik begründet, die dem bürgerlichen Anstandsmenschen die verbotene, verbrecherische Handlung, der er sich nur in der Illusion nähern darf, anbietet. Nein, bei Noll, regiert das Subtile, werden der Strafvollzug, die Gerichtsbarkeit sowie die Disziplinarorganisation per se, die Polizei, in den Hintergrund gerückt – das Sozialdrama, meist mit einer gehörigen Prise Humor und menschlicher Abgrundtiefe, regieren uneingeschränkt. Auch hier findet sich der Leser wieder – nur direkter, ehrlicher, aber nicht minder genussvoll in der eigenen Grenzüberschreitung, die er vielleicht selbst begeht.

In Ehrenwort wird die Alterspflege zum Thema und recht schnell merkt jeder, wie Noll übrigens auch, die ihre über hundertjährige Mutter vier Jahre lang pflegte, dass es sich hierbei um ein ganz normales Thema der modernen Hedonismusgenerationen handelt. Opa Willy stürzt mit 90 Jahren, muss das erste Mal aus seinen eigenen Wänden ausziehen und, so bescheinigen die Ärzte, wird nie mehr zurückkehren können, höchstwahrscheinlich in wenigen Wochen sterben. Dumm nur, dass dessen Enkel Max eine Vanillepuddingkur für den Opa parat hält, die seine Lebensgeister wieder zum Leben bringt und noch dümmer, dass Sohn Harald und Schwiegertochter Petra den Ärmsten freiwillig und doch ungern in die eigenen vier Wände aufnehmen. Die Pflege beginnt, das Erbe wird anvisiert und der Mord von den beiden hinterhältig geplant.

So kommt es denn dann auch zur Bluttat, allerdings ist nicht der Opa das Opfer, sondern eine dritte Person. Mehrere dieser erst einmal nicht direkt zur Familie gehörenden Persönlichkeiten machen mit ihrer Kleinkriminalität (Schutzerpressung, Wirtschaftslobbyismus) die ganze Geschichte zu einer typischen Melange, wie sie in jeder deutschen Familie vorkommen könnte und wahrscheinlich in jeder dritten auch vorkommt. Wer sich also selbst bei seinen Rachemotiven und unehrlichen Trickserien sowie seiner egoistischer Wichtigkeit ertappen möchte, sollte diese bitterböse, anrührende und mal wieder rundum gelungene Lektüre wählen, die eines beständig klarmacht: Je älter desto besser - dies gilt zumindest für Schriftstellerinnen wie Ingrid Noll.

geschrieben am 29.11.2010 | 520 Wörter | 3092 Zeichen

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