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Interview mit John Gilmore


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Oliver Lippert: Was bewog dich dazu, dich dem Schreiben und dem Autorendasein zuzuwenden, und woran erkennst du, ob dir ein Thema gefällt, so dass du darüber schreiben willst?

John Gilmore: Ich weiß nicht mehr genau, wie der Funke übersprang, als ich wie Tom Mix auf seinem Pferd von einer Klippe zur nächsten sprang, um die Schriftstellerei zu meinem Lebensinhalt zu machen.. Während ich Schauspieler war, schrieb und verkaufte ich einige Kurzgeschichten, aber den SPRUNG machte ich erst 1962. Das war, als ich auf meine Karriere als Schauspieler und auf meinen Wunsch, ein Filmstar zu werden, verzichtete, um mich einer Sache zuzuwenden, die ich mehr im Griff hatte.

Ich stand kurz davor, die zweite Hauptrolle in einem Film mit Marilyn Monroe in der Hauptrolle zu spielen (der Film heißt THE STRIPPER; in Deutschland bekannt als „Die verlorene Rose“– Anm. des Autors), und es sollte noch eine Freundin von mir mitwirken, Joanne Woodward. Marilyn jedoch flog aus dem Studio , und das Projekt , das von Jerry Walk produziert werden sollte, der zwei weitere Filme mit Marilyn gedreht hatte (CLASH BY NIGHT und LET'S MAKE LOVE; in Deutschland unter den Titeln „Vor dem neuen Tag“ und „Machen wir's in Liebe“ bekannt – Anm. des Redakteurs), war für sie gestorben. Twentieth Century Fox Studios zog seine Konsequenz, und der Film THE STRIPPER wurde auf Eis gelegt. Jerry Wald starb im Juli 1962 an einem Herzinfarkt. Marilyn starb einen Monat später im August 1962. Da hörte ich auf. Eine weitere Freundin, Kim Novak, hörte (sozusagen) ebenfalls auf, als Marilyn starb.

Wie Kim war ich an weiteren Filmen mit Fox beteiligt, dies aber nur des Geldes wegen. Zur selben Zeit begann ich, rein als Broterwerb, Sexy Action- und Noir-Romane zu verkaufen. Ich war an Noir-Filme gewohnt –die meisten der 40er Noir-Filme sah ich zur Premiere in den Kinos (und sehe sie mir auch heute oft noch auf VHS und DVD an). Sie beflügelten meine Fantasie, verbanden mich mit der dunklen Welt, in der ich aufgewachsen war – als Einzelgänger.

Marilyn Monroe und ich hatten viel gemeinsam, zum Beispiel eine trostlose Vergangenheit. Ich wuchs in der düsteren Umgebung von L.A. auf, einer Art Raymond Chandler-L.A.; mein Vater, ein frustrierter Schauspieler, wurde dann in Los Angeles Polizist, und ein paar Jahre später war ich eng bekannt mit einigen Kriminalbeamten, die sich mit Mordfällen und Sittendelikten befassten. Als ich elf war, war Elizabeth Short eine Zeit lang zu Gast im Haus meiner Großmutter. Es war 1946 – kurz vor Halloween. Im Januar 1947 wurde sie ermordet aufgefunden, und daraus wurde der sensationellste Fall in der Geschichte von L.A. Sie wurde „Black Dahlia“ genannt, und ich als Elfjähriger war damals fasziniert von ihr.

Was ich damit sagen will: Schmerz und Verlust, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit , das Mysterium des Sexuellen sowie Gewalt und Mord waren in meinem Leben dauerhafte Faktoren. Zutaten könnte man auch sagen, wie für einen Eintopf oder ein Gericht, das repräsentiert, wer ich bin und was mich inspiriert. Ich schreibe nur über Dinge, zu denen es mich auf emotionale und kreative Weise drängt. Ich schreibe nicht, um jemandem zu gefallen außer mir selbst. Ich schreibe als Entdecker, der bis zum Kern vordringt – zur nackten Wahrheit einer Sache. Meine Welt liegt auf der dunklen Seite des Mondes. Das ist mein Territorium – meine Domäne.

Oliver Lippert: Im Laufe der Recherchen und auch, als ich einige grundlegende Informationen über Dich erhielt, fiel mir auf, dass Deine Werke, oder zumindest ein oder mehrere Artikel / Bücher, als „Gonzo-Journalismus“ bezeichnet werden. Auf welche Art von Artikeln und Bücher bezieht sich dieser Begriff?

John Gilmore: Gonzo-Journalismus bedeutet in Bezug auf meine Person das gleiche wie bei Hunter S. Thompson. Das Werk stützt sich auf seine Person, der Autor ist Mitwirkender in dem Film. Für mich bedeutet es, persönlich am Sachverhalt beteiligt zu sein. Im Gegensatz zu Thompson habe ich vor, meine Expeditionen in Sachen Wahrheit so lange auszudehnen, bis der Vorhang aus eigenem Entschluss fällt. In anderen Worten, ich habe nicht vor, mir eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Das wäre ohnehin eine zu schmutzige Sache. Ich glaube, sich mit Tabletten umzubringen ist die beste Methode. Einfach einschlafen und in jene Welt übertreten, die uns alle alle überrascht, fasziniert und mit Angst erfüllt.

Oliver Lippert: Du hast die Schriftstellerei und den Journalismus auch gelehrt. War es schwer, und hast Du es auch selbst studiert?

John Gilmore: Ich lehrte auf der Uni und hatte auch eine private Gruppe von Autoren in San Francisco. Ich genoss diese Treffs, die ich wie eine Gruppentherapie leitete ( die Diamanten kommen aus den Gedärmen und nicht aus dem Gehirn), aber ich hatte das Gefühl, dass es zu sehr an meiner Kreativität zehrte. Es laugte mich aus. Zu viel Denkanstrengung, die mich von meiner eigentlichen Aufgabe abhielt: der Erforschung des Dings an sich.

Oliver Lippert: Während ich „Crazy Streak“ las, fragte ich mich, was du in dem Buch siehst und in welche Kategorie du es einordnest, und ob es „nur“ ein Fantasieprodukt ist oder auch Fakten enthält?

John Gilmore: Der wahre Autor, der mit dem Herzen schreibt, schreibt aus seiner individuellen Erfahrung. Nicht indem Erfahrungen unbedingt reflektiert werden wie in der Romanliteratur, sondern indem der elektrische Strom aus dem Born der verschiedensten Erfahrungen in die Arbeit einfliesst. Ich habe so gut wie alles gemacht. Ich habe schöne Frauen geheiratet, hatte intime Beziehungen mit Filmköniginnen sowie zwei verschiedenen Generationen hübscher Mädchen – davor und danach; da waren Nachtclub-Promis, ein paar Schauspielerinnen vom Broadway, eine Rock’n’Roll – Diva (Janis Joplin), ein exotischer, halb-verrückter Varieté-Star.

Ich trieb mich auf einer großen Bandbreite von Erfahrungen herum, experimentierte mit Bisexualität, was nahezu unausweichlich ist, wenn man wie ich in Hollywood geboren wird und aufwächst und außerdem schön und hochbegabt ist. Ich war mit James Dean befreundet, und Leute wie Ida Lupino, der Schauspieler John Hodiack oder die berühmte Constance Bennet (ein Star der 30er und 40er Jahre) waren meine Mentoren.

Ich habe die meiste Zeit meines Lebens in Filmen oder im New York Theater mitgewirkt, arbeitete mit Schauspielstudios zusammen, trat live im Fernsehen auf, bearbeitete Dramen und Filme fürs Fernsehen ... eine Menge Theater. Ich habe für die Leinwand geschrieben und verfasste eine Menge Bücher, die zur Crème des umstrittenen Kanons zählen, und wie viele bedeutende Menschen fühlte ich mich meinem jeweiligen Umfeld stets nur lose verbunden. Ich bin immer noch bilderstürmerisch, sozialistisch, wahrscheinlich auch manchmal faschistisch anmutend, aber vor allem bin ich ein Künstler, der nach seiner individuellen Wahrheit sucht, und – nach drei Scheidungen allein lebend – noch immer im Kreise der Berühmten verkehrt, sich aber auch in einen emotionalen Winterschlaf zurückgezogen hat vor einer Welt, die ich längst hinter mir ließ, bis auf die Erfahrungen, die sich immer noch mischen, sich noch immer winden, noch immer verschiedene Gestalten annehmen und sich bohrend ihren Weg bahnen in ein Werk, das aus eigenen Stücken entsteht und ohne Plan.

Oliver Lippert: Welches Feedback hast du bisher von der Presse und den Lesern bekommen, speziell aus Europa / Deutschland? Gibt es Pläne, deine Werke ins Deutsche zu übersetzen, um sie dann hierzulande veröffentlichen zu können?

John Gilmore: Meine Bücher wurden bisher in Japan, Frankreich, Griechenland, Spanien und wiederholt auch in Großbritannien veröffentlicht. Ich habe eine große Fangemeinde in Europa und Japan: die Gothics, die Spinner, die Sonderlinge, die Kriminellen, die Schwulen, die Dichter, die Künstler und die Intelligenzia. Anscheinend versetze ich vor allem die Endzwanziger und 40-jährigen in Wallung, aber ich habe unter den kreativen, intelligenten Menschen Leser in allen Altersklassen. Meine Arbeit ist nicht allzu leserfreundlich für Genre- und Bestseller-Leser. Ich glaube, meine Bücher würden in Deutschland sehr gut ankommen. Ich verspüre eine starke innere Verbindung, einen starken Bezug zu so vielen Dinge in Deutschland und der deutschen Kultur – namentlich dem Bereich der Kunst.

Oliver Lippert: Du hast ein Buch über den Black Dahlia-Fall geschrieben. Ich habe es noch nicht gelesen, aber ich würde gerne wissen, wie lange du gebraucht hast, um es zu schreiben, und wie Du auf die Idee kamst, dieses Thema aufzugreifen? Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb es Black Dahlia genannt wird, und was war Anlass für Dich, diesen Fall als Grundlage für ein Drehbuch zu wählen? Der Film wurde bis heute nicht fertiggestellt oder auch nur angefangen. Gibt es Pläne, das nachzuholen?

John Gilmore: Oh, der Werdegang meiner Arbeit zum Thema Black Dahlia öffnet so viele Türen in meinem Leben. Ich war die meiste Zeit meiner Jugend von ihr besessen, ich werde nie vergessen, wie sie sich präsentierte: Komplett in schwarz, vom kleinen schwarzen Hut bis hin zu den High-Heels, die ihre rotgefärbten Zehennägel entblößten, ihr Gesicht mit einer Art weißem Puder geschminkt wie eine Geisha, ihre atemberaubenden blauen Augen und ihr blutroter Lippenstift.

Ich war 11 Jahre alt, und sie sprach mit mir wie mit einem Gleichaltrigen – einem Typen Anfang 20. Wir sprachen über Zauberei, weil ich viele Poster von berühmten Bühnenzauberern an der Wand hatte. Mit 13 war ich eine Art Kindmagier und gab Vorstellungen für eine ausgewählte Gruppe. Meine Arbeit an dem Fall dauerte von den frühen 60ern bis zum Jahr 1994, in dem ich das Buch veröffentlichte. Es war das erste non-fiktionale True-Crime Buch über diesen Fall. Seitdem sind eine Menge Bücher erschienen, und dieser Film, der gar nicht mein Film war. Mein Buch lag sechs Jahre lang bei Edward Pressman Films herum, und sie haben es nicht geschafft, den Film zu machen. David Lynch war beteiligt, allerdings nicht mehr an der Technik.

Ja, ich habe ein Skript, das sich auf mein Buch stützt, und ich hoffe der Film wird in naher Zukunft realisiert. Es ist höchste Zeit, dass etwas über SIE gemacht wird – über die Black Dahlia, und nicht irgendein Ableger einer blöden Hollywood-Idee:

Oliver Lippert: Hast Du auch Leute getroffen, die von der Polizei als verdächtig eingestuft wurden und zu dem Fall bereits verhört wurden? Wenn ja, wie war es, und wie bekamst Du die Informationen von ihnen? Haben Sie offen mit Dir geredet oder waren sie mit dem, was sie sagten, eher vorsichtig?

John Gilmore: Oliver, ich habe mit über 300 Leuten gesprochen, von beiden Fronten – Detektiven und Kriminellen gleichermaßen. Wahrscheinlich mehr als 25 Jahre lang. Ich fand mich jahrelang auf beiden Fronten wieder. Ich schreibe ohne Wertung. Mir geht es nur um die Wahrheit der jeweiligen Sache. Du musst das Buch lesen, weil Deine Fragen etliche Bereiche abdecken, die im Buch behandelt werden.

Oliver Lippert: Deine neueste Veröffentlichung handelt von Marilyn Monroe. Wie kamst Du zu dem Entschluss, etwas darüber zu schreiben, und – entschuldige, wenn ich falsch liege – ihr beiden wurdet im selben Krankenhaus geboren, oder? Im Abstand von einigen Jahren? Wie bist Du an die Informationen gekommen, und hast Du je persönlich mit ihr gesprochen? Wenn ja, wie denkst Du darüber? Marilyn Monroe ist ja noch immer eine angesehene Person.

John Gilmore: Auf den ersten Seiten des Buches findest du die Antwort. Ich war mit Marilyn Monroe gut befreundet, von 1953 bis zu dem Zeitpunkt als wir 1962 den Film zusammen machen wollten. Ja, wir wurden beide im L.A. General Hospital geboren. Marilyn war acht Jahre älter als ich, das perfekte Alter für den Film „The Stripper“, in dem Marilyn ebenfalls älter ist als der Junge.

Oliver Lippert: Weil wir gerade davon reden, ob du mit Marilyn persönlich gesprochen hast: Hast Du eigentlich alle Personen persönlich kennen gelernt, über die du geschrieben hast? Und was verbindet Euch? Welche Personen kennst Du und welche können den Weg in eines deiner künftigen Bücher finden?

John Gilmore: „LAID BARE: A Memoir of Wrecked Lives & the Hollywood Death Trip“ handelt von meinem Leben und den Leuten, die ich zwischen den 50-er und 70-er Jahren kennen gelernt habe. Mein nächstes Buch, das von persönlichen Erinnerungen handelt – „MY NAKED LIFE“ – wird von dem ganzen Eintopf handeln, ohne Vorbehalt.

Oliver Lippert: Kommen wir zur letzten Frage: Können wir weitere Bücher von dir erwarten, vielleicht mehr aus dem Bereich True Crime, und gibt es schon einige Ideen, worum es sich handeln wird?

John Gilmore: Du kannst mit weiteren Büchern von mir rechnen, mit Romanen, True-Crime-Geschichten und Hollywood / Broadway-Erinnerungen. „ROAD WITHOUT END: On the Run with Bonnie & Clyde“ wird im Juli 2008 erscheinen. Ein weiterer großer Roman über das Hollywood der 50er und 60er Jahre wird Ende 2008 herauskommen. Zwei weitere Bücher sind für 2009 und 2010 in Planung. Danach ... ? Wer weiß.

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Oliver Lippert: Vielen Dank für das Interview. Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft.