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Politische Anwälte? Die Verteidiger der Nürnberger Prozesse


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Rezension von

Dr. Sebastian Felz

Politische Anwälte? Die Verteidiger der Nürnberger Prozesse Schon ein erster Blick in diese Dissertation ist vielversprechend, denn die Quellebasis dieser Arbeit ist beeindruckend. Der Augsburger Historiker Hubert Seliger hat 54 (!!!) Archive besucht und dort Archivalien ausgewertet, darunter sieben Archive in den USA. Schon diese Aufzählung ist außergewöhnlich. Sie lässt für die 533 Seiten der eigentlichen Darstellung viel erhoffen. Als „politische Anwälte“ in Anlehnung an Otto Kirchheimer möchte der Autor einen Teil der Anwälte in Nürnberg analysieren. Kernthema dieser Untersuchung sei es nicht, eine rechtsgeschichtliche Darstellung prozessualer und materialrechtlicher Herausforderungen aus Verteidigersicht vorzulegen. Seliger geht es vielmehr um die politischen Akteure, die in der Transitionsphase der Nachkriegszeit, die Deutungskämpfe um diese Verfahren in der geschichtlich aufgeladenen Stadt Nürnberg aufnahmen. Es ging um „Vergangenheitspolitik“: Welche Personen waren integrierbar in die post-nationalsozialistische Gesellschaft? Welche Worte und Begriffe der letzten zwölf Jahre waren noch sagbar? Kriterien dafür sind: Eine auffallend große Anzahl von Mandanten, Verteidigung von NS-Tätern auch nach „Nürnberg“ sowie eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Prozessen in Medien und Publikationen. Seliger definiert den „politischen Anwalt“ wie folgt: „Jemand ist dann politischer Anwalt […], wenn er im Rahmen eines juristischen Verfahrens Aussagen über die vergangene oder gegenwärtige politische Ordnung trifft, die über das reine Mandanteninteresse an einer effektiven Strafverteidigung oder Prozessvertretung hinausgehen, also Aussagen im Spiel sind, die nicht mehr nur die Kontextualisierung der konkreten Taten des Angeklagten oder eine konkrete Rechtsposition betreffen, sondern einen Beitrag zum ‚Kampf um die rechte Ordnung‘ liefern“. Im ersten Teil der Studie werden unter Heranziehung aufgrund der umfassenden Archiverhebungen sämtliche Biographien der in den 13 Nürnberger Prozessen (Hauptprozess und Nachfolgeprozesse) aufgetretenen Strafverteidiger und die Zusammensetzungen der einzelnen Verteidigerteams untergliedert nach Mandantengruppen vorgestellt. Dabei handelt es sich um 264 Personen, deren Geburtsjahrgänge von 1877 bis 1923 fast ein halbes Jahrhundert abdeckten und die meist aus Berlin bzw. dem Großraum Nürnberg stammten. Fünf Verteidigerinnen waren darunter. Interessanterweise waren 26 Verteidiger ohne juristische Vorkenntnisse, es handelte sich um Sekretärinnen, Übersetzer, Ingenieure und Historiker, die zu Prozessvertretern ernannt worden waren. Die Nürnberger Verteidiger hatten einen „bürgerlich-konservativ-nationalliberalen“ Hintergrund, so Seliger. Nach Seligers Recherchen hatten ca. 61% der Nürnberger Verteidiger, d.h. 163 Personen, zumindest zeitweise der NSDAP angehört. 60 Verteidiger waren Mitglied in der SA, immerhin 18 Mitglieder in der SS bzw. Waffen-SS und sieben Verteidiger sogenanntes förderndes Mitglied der SS. Ämter in der NSDAP nahmen allerdings nur wenige spätere Nürnberger Verteidiger ein, fast alle in den untersten Rängen des Block- oder Zellenleiters. Immerhin drei Verteidiger hatten Offiziersränge in der SS inne. Mit dem früheren Diplomaten Ernst Achenbach war mindestens ein Verteidiger sogar direkt in den Holocaust verstrickt gewesen. Die Analyse der Verteidigerteams, die in Kapitel 2 der Studie analysiert werden, zeigt, dass die in Nürnberg angeklagten Industriellen die verbliebenen Reste der Weimarer Anwaltselite und die Konzernjuristen ihrer eigenen Unternehmen für sich engagieren konnten. Außer Ernst von Weizsäcker gelang es nur der Wirtschaft ausländische Anwälte für die Verteidigung zu gewinnen. In den Militärprozessen hingegen übernahmen frühere Offiziere und Militärrichter. Am schwierigsten hatten es die hochrangigen Parteigrößen und Mitglieder der SS, handelte es sich doch bei ihren Verteidigern überwiegend um mehr oder weniger freiwillige Pflichtverteidiger, nicht selten Flüchtlinge, die im Extremfall ihre Abneigung gegen ihre Mandanten offen äußerten. Im dritten Kapitel untersucht der Autor die Einstellung der Verteidiger zu den „Nürnberger Prozessen“. Wie die auf umfangreicher Analyse von Eigenpublikationen der Anwälte und ausgewählte Prozessplädoyers zeigt, hatten gerade die reinen Pflichtverteidiger, trotz aller Kritik an einzelnen Aspekten der Verfahren, eine durchaus positive Einstellung zu „Nürnberg“ als einem Ort der Gerechtigkeit und der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Mit ihren Mandanten identifizierten sich die Anwälte der Industrie, die unter Berufung auf die vermeintlich totalitäre Herrschaft Hitlers, gegen die jeglicher Widerstand unmöglich gewesen sei, ihre Mandanten zu exkulpieren suchen. Dagegen war das Ziel der sogenannten „jungen Radikalen“, die Prozesse als Ganzes zu Fall zu bringen. Für sie ging es um die Verteidigung einer bestimmten Lebensweise und Vorstellung von Gesellschaft, in der der Krieg als normales, eine Gesellschaft formendes Wesen verstanden wurde. Nach dem Ende der Nürnberger Prozesse waren es einige diese „jungen Radikalen“, die einer Generalamnestie unterstützen und zusammen mit „Kameradennetzwerken“ ehemaliger hochrangiger NS-Beamter und anderen rechtsextremen Kreisen zu Beginn der sechziger Jahre den Versuch unternahm, eine Gegenbewegung zur verstärkten strafrechtlichen Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen aufzubauen. Es bildeten einige Nürnberger „Veteranen“ durchaus ein „rechtes Gegenstück“ zu bekannten „Links-Anwälten“ wie Friedrich Karl Kaul. Diese Darstellung der Nachgeschichte leistet Seliger im vierten Kapitel und erlaubt damit Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Lebensläufe nachzuverfolgen. Die Nürnberger Verteidiger leisteten, so das Fazit, einen wichtigen Beitrag für die Demokratisierung und die Etablierung eines Rechtsstaates in Deutschland. Dieser Beitrag bedeutet nicht zwangsläufig eine positive Einstellung zur Strafverfolgung von NS-Tätern oder ist einer liberalen, rechtsstaatlich orientierten politischen Haltung zuzuordnen. Indem aber die Nürnberger Verteidiger die Grenzen dessen ausloteten, ob und welches Verhalten im NS-Regime zu rechtfertigen war, erbrachten sie im Zusammenspiel mit den anderen Prozessakteuren bzw. als Mitwirkende in der gesellschaftlichen Debatte um die Vergangenheit eine eigenständige Leistung für die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime. Die Arbeit wird durch Biogramme ausgewählter Anwaltspersönlichkeiten abgerundet. Diese Dissertation wurde 2014 mit dem Preis des Forums Anwaltsgeschichte ausgezeichnet und steht auf der Shortlist der Volkswagenstiftung für den Förderpreis „Opus Primum“ 2016. Ohne Zweifel hätte diese monumentale Untersuchung auch den zweiten Preis verdient.

Schon ein erster Blick in diese Dissertation ist vielversprechend, denn die Quellebasis dieser Arbeit ist beeindruckend. Der Augsburger Historiker Hubert Seliger hat 54 (!!!) Archive besucht und dort Archivalien ausgewertet, darunter sieben Archive in den USA. Schon diese Aufzählung ist außergewöhnlich. Sie lässt für die 533 Seiten der eigentlichen Darstellung viel erhoffen.

Als „politische Anwälte“ in Anlehnung an Otto Kirchheimer möchte der Autor einen Teil der Anwälte in Nürnberg analysieren. Kernthema dieser Untersuchung sei es nicht, eine rechtsgeschichtliche Darstellung prozessualer und materialrechtlicher Herausforderungen aus Verteidigersicht vorzulegen. Seliger geht es vielmehr um die politischen Akteure, die in der Transitionsphase der Nachkriegszeit, die Deutungskämpfe um diese Verfahren in der geschichtlich aufgeladenen Stadt Nürnberg aufnahmen. Es ging um „Vergangenheitspolitik“: Welche Personen waren integrierbar in die post-nationalsozialistische Gesellschaft? Welche Worte und Begriffe der letzten zwölf Jahre waren noch sagbar? Kriterien dafür sind: Eine auffallend große Anzahl von Mandanten, Verteidigung von NS-Tätern auch nach „Nürnberg“ sowie eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Prozessen in Medien und Publikationen. Seliger definiert den „politischen Anwalt“ wie folgt:

„Jemand ist dann politischer Anwalt […], wenn er im Rahmen eines juristischen Verfahrens Aussagen über die vergangene oder gegenwärtige politische Ordnung trifft, die über das reine Mandanteninteresse an einer effektiven Strafverteidigung oder Prozessvertretung hinausgehen, also Aussagen im Spiel sind, die nicht mehr nur die Kontextualisierung der konkreten Taten des Angeklagten oder eine konkrete Rechtsposition betreffen, sondern einen Beitrag zum ‚Kampf um die rechte Ordnung‘ liefern“.

Im ersten Teil der Studie werden unter Heranziehung aufgrund der umfassenden Archiverhebungen sämtliche Biographien der in den 13 Nürnberger Prozessen (Hauptprozess und Nachfolgeprozesse) aufgetretenen Strafverteidiger und die Zusammensetzungen der einzelnen Verteidigerteams untergliedert nach Mandantengruppen vorgestellt. Dabei handelt es sich um 264 Personen, deren Geburtsjahrgänge von 1877 bis 1923 fast ein halbes Jahrhundert abdeckten und die meist aus Berlin bzw. dem Großraum Nürnberg stammten. Fünf Verteidigerinnen waren darunter. Interessanterweise waren 26 Verteidiger ohne juristische Vorkenntnisse, es handelte sich um Sekretärinnen, Übersetzer, Ingenieure und Historiker, die zu Prozessvertretern ernannt worden waren. Die Nürnberger Verteidiger hatten einen „bürgerlich-konservativ-nationalliberalen“ Hintergrund, so Seliger.

Nach Seligers Recherchen hatten ca. 61% der Nürnberger Verteidiger, d.h. 163 Personen, zumindest zeitweise der NSDAP angehört. 60 Verteidiger waren Mitglied in der SA, immerhin 18 Mitglieder in der SS bzw. Waffen-SS und sieben Verteidiger sogenanntes förderndes Mitglied der SS. Ämter in der NSDAP nahmen allerdings nur wenige spätere Nürnberger Verteidiger ein, fast alle in den untersten Rängen des Block- oder Zellenleiters. Immerhin drei Verteidiger hatten Offiziersränge in der SS inne. Mit dem früheren Diplomaten Ernst Achenbach war mindestens ein Verteidiger sogar direkt in den Holocaust verstrickt gewesen.

Die Analyse der Verteidigerteams, die in Kapitel 2 der Studie analysiert werden, zeigt, dass die in Nürnberg angeklagten Industriellen die verbliebenen Reste der Weimarer Anwaltselite und die Konzernjuristen ihrer eigenen Unternehmen für sich engagieren konnten. Außer Ernst von Weizsäcker gelang es nur der Wirtschaft ausländische Anwälte für die Verteidigung zu gewinnen.

In den Militärprozessen hingegen übernahmen frühere Offiziere und Militärrichter. Am schwierigsten hatten es die hochrangigen Parteigrößen und Mitglieder der SS, handelte es sich doch bei ihren Verteidigern überwiegend um mehr oder weniger freiwillige Pflichtverteidiger, nicht selten Flüchtlinge, die im Extremfall ihre Abneigung gegen ihre Mandanten offen äußerten.

Im dritten Kapitel untersucht der Autor die Einstellung der Verteidiger zu den „Nürnberger Prozessen“. Wie die auf umfangreicher Analyse von Eigenpublikationen der Anwälte und ausgewählte Prozessplädoyers zeigt, hatten gerade die reinen Pflichtverteidiger, trotz aller Kritik an einzelnen Aspekten der Verfahren, eine durchaus positive Einstellung zu „Nürnberg“ als einem Ort der Gerechtigkeit und der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Mit ihren Mandanten identifizierten sich die Anwälte der Industrie, die unter Berufung auf die vermeintlich totalitäre Herrschaft Hitlers, gegen die jeglicher Widerstand unmöglich gewesen sei, ihre Mandanten zu exkulpieren suchen. Dagegen war das Ziel der sogenannten „jungen Radikalen“, die Prozesse als Ganzes zu Fall zu bringen. Für sie ging es um die Verteidigung einer bestimmten Lebensweise und Vorstellung von Gesellschaft, in der der Krieg als normales, eine Gesellschaft formendes Wesen verstanden wurde.

Nach dem Ende der Nürnberger Prozesse waren es einige diese „jungen Radikalen“, die einer Generalamnestie unterstützen und zusammen mit „Kameradennetzwerken“ ehemaliger hochrangiger NS-Beamter und anderen rechtsextremen Kreisen zu Beginn der sechziger Jahre den Versuch unternahm, eine Gegenbewegung zur verstärkten strafrechtlichen Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen aufzubauen. Es bildeten einige Nürnberger „Veteranen“ durchaus ein „rechtes Gegenstück“ zu bekannten „Links-Anwälten“ wie Friedrich Karl Kaul. Diese Darstellung der Nachgeschichte leistet Seliger im vierten Kapitel und erlaubt damit Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Lebensläufe nachzuverfolgen.

Die Nürnberger Verteidiger leisteten, so das Fazit, einen wichtigen Beitrag für die Demokratisierung und die Etablierung eines Rechtsstaates in Deutschland. Dieser Beitrag bedeutet nicht zwangsläufig eine positive Einstellung zur Strafverfolgung von NS-Tätern oder ist einer liberalen, rechtsstaatlich orientierten politischen Haltung zuzuordnen. Indem aber die Nürnberger Verteidiger die Grenzen dessen ausloteten, ob und welches Verhalten im NS-Regime zu rechtfertigen war, erbrachten sie im Zusammenspiel mit den anderen Prozessakteuren bzw. als Mitwirkende in der gesellschaftlichen Debatte um die Vergangenheit eine eigenständige Leistung für die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime.

Die Arbeit wird durch Biogramme ausgewählter Anwaltspersönlichkeiten abgerundet.

Diese Dissertation wurde 2014 mit dem Preis des Forums Anwaltsgeschichte ausgezeichnet und steht auf der Shortlist der Volkswagenstiftung für den Förderpreis „Opus Primum“ 2016. Ohne Zweifel hätte diese monumentale Untersuchung auch den zweiten Preis verdient.

geschrieben am 02.01.2017 | 852 Wörter | 5841 Zeichen

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