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Leichter Reisen


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Leichter Reisen Die Zeiten werden nicht leichter. Als vor 100 Jahren das Massenzeitalter schon in vollem Aufkommen war, hatten empfindsame Geister - so sie denn einigermaßen betucht waren - wenigstens noch eine Fluchtmöglichkeit vor Mittelmaß, Geschmacklosigkeiten und mangelndem Benehmen in ihrer Heimatmetropole: das Reisen. Ob der Dandy-Abenteurer Otto E. Ehlers, der 1894 in Samoa wohl Kannibalen zum Opfer fiel, der berühmte Fürst Pückler, der als einer der ersten im Ballon fuhr oder Harry Graf Kessler, - sie alle frönten dem Reisen auch, weil man damals nach überschaubaren Strapazen doch recht schnell unter sich sein konnte. Betraten noch in 1980er-Jahren eher bestimmte Menschen die Erste Klasse der Bahn oder das Flugzeug, bei denen man mit einem Mindestmaß an Benehmen rechnen konnte, so hat sich auch dies im Zeitalter von Billigfliegern und Mobilophonie grundlegend verändert. Dabei ist es nicht mit der Feststellung getan, unteren Schichten seien erst aufgrund der Billigkeit des Mobiltelephonierens oder Flugreisens diese Tätigkeiten ermöglicht worden. Zu konzedieren ist gleichfalls ein Sittenverfall der mittleren Schichten. Auch leitende Angestellte fühlen sich bemüßigt, sofort nach dem Verlassen des Fliegers ihr Mobiltelephon anzuschalten. Wer traut sich heute schon ans Gepäckband - ohne dabei zu telefonieren. Zeit war es also für einen weiteren Benimm-Ratgeber von Philipp Tingler zum Thema Reisen. Er trägt den Titel »Leichter Reisen – Benimmhandbuch und Ratgeber für Unterwegs«. Das auch gestalterisch gelungene Büchlein ist dem »Stil zeigen!« von 2008 angelehnt, das wir an gleicher Stelle besprochen haben. Ebenso wie das »Handbuch für Gesellschaft und Umgangsform« (Untertitel) ist auch der neue Band mit den wunderschönen und kongenialen Zeichnungen von Daniel Müller geschmückt. Der 1970 in Berlin(-West) geborene Tingler seziert die möglichen Strapazen, die einem beim Reisen widerfahren können. Das fängt ja mit dem Gepäck an. Was nehme ich mit? Und vor allem wie viel? Sollte ich mich vorher erkundigen, wie das Wetter am Reiseziel sein wird? Der mehrfach ausgezeichnete Autor rät zu einem Trick: Man sollte alles, was man mitnehmen will, zusammenlegen, beispielsweise aufs Bett. Hat man nach nochmaliger Kontrolle alles zusammen, packt man es wieder in den Schrank und beginnt mit dieser Prozedur nochmal. Das ganze macht man so oft, bis man der Überzeugung ist, das, was da jetzt liegt, sei genug. Das Buch liest sich leicht und süffisant; es bringt einen an der ein oder anderen Stelle zu herzhaftem Lachen. Dabei ist es ja eigentlich gar nicht komisch: Die Verwahrlosung des öffentlichen Raums, wie der Soziologe sagen würde, das zuweilen ostentative Schlechtaussehen. Der Leser, der sich an diesen Dingen ebenfalls stört, findet bei Tingler Trost. Zuweilen allein dadurch, dass der Wahl-Schweizer einige der gröbsten Schnitzer beim Namen nennt. Dazu gehört in Deutschland die Vorliebe von Leuten, die ihren relativen Wohlstand zeigen möchten, für eine bekannte französische Taschenmarke. Leider weiß niemand ihrer Benutzer, dass die eigentliche Idee der Überspannung mit Segeltuch und Bedrucken mit den Initialien von einer wenige Jahre älteren Konkurrenzmarke stammt. Und die heißt Goyard und ist tatsächlich exklusiv. Der vielreisende Autor plaudert aus dem Nähkästchen – weiß er doch wovon er spricht. Ob es um das angemessene Trinkgeld für den Taxifahrer geht, essentielle Verhaltensweisen im Flugzeug oder in der Bahn, kaum eine Seite des Buches enthält nur Bekanntes und lässt den Leser nicht schmunzeln. Philipp Tingler spricht die Fragen des Reisenden aus, die sich kaum jemand öffentlich zu stellen traut. Warum darf ich ein Behinderten-Klo nicht benutzen, wenn weit und breit kein Rollstuhlfahrer in Sicht ist? Wieso halten sich in einer freien Wirtschaftsordnung alle daran, das erste Taxi in der Schlange zu nehmen, sei es noch so versifft? Die Illustrationen des Zürichers Daniel Müller sind quasi die Trüffelung von Text und Gestaltung. Sie unterstreichen dutzendfach den feinen Geist der Ironie, an dem es uns Deutschen häufig so sehr mangelt.

Die Zeiten werden nicht leichter. Als vor 100 Jahren das Massenzeitalter schon in vollem Aufkommen war, hatten empfindsame Geister - so sie denn einigermaßen betucht waren - wenigstens noch eine Fluchtmöglichkeit vor Mittelmaß, Geschmacklosigkeiten und mangelndem Benehmen in ihrer Heimatmetropole: das Reisen. Ob der Dandy-Abenteurer Otto E. Ehlers, der 1894 in Samoa wohl Kannibalen zum Opfer fiel, der berühmte Fürst Pückler, der als einer der ersten im Ballon fuhr oder Harry Graf Kessler, - sie alle frönten dem Reisen auch, weil man damals nach überschaubaren Strapazen doch recht schnell unter sich sein konnte.

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Betraten noch in 1980er-Jahren eher bestimmte Menschen die Erste Klasse der Bahn oder das Flugzeug, bei denen man mit einem Mindestmaß an Benehmen rechnen konnte, so hat sich auch dies im Zeitalter von Billigfliegern und Mobilophonie grundlegend verändert. Dabei ist es nicht mit der Feststellung getan, unteren Schichten seien erst aufgrund der Billigkeit des Mobiltelephonierens oder Flugreisens diese Tätigkeiten ermöglicht worden. Zu konzedieren ist gleichfalls ein Sittenverfall der mittleren Schichten. Auch leitende Angestellte fühlen sich bemüßigt, sofort nach dem Verlassen des Fliegers ihr Mobiltelephon anzuschalten. Wer traut sich heute schon ans Gepäckband - ohne dabei zu telefonieren.

Zeit war es also für einen weiteren Benimm-Ratgeber von Philipp Tingler zum Thema Reisen. Er trägt den Titel »Leichter Reisen – Benimmhandbuch und Ratgeber für Unterwegs«. Das auch gestalterisch gelungene Büchlein ist dem »Stil zeigen!« von 2008 angelehnt, das wir an gleicher Stelle besprochen haben. Ebenso wie das »Handbuch für Gesellschaft und Umgangsform« (Untertitel) ist auch der neue Band mit den wunderschönen und kongenialen Zeichnungen von Daniel Müller geschmückt.

Der 1970 in Berlin(-West) geborene Tingler seziert die möglichen Strapazen, die einem beim Reisen widerfahren können. Das fängt ja mit dem Gepäck an. Was nehme ich mit? Und vor allem wie viel? Sollte ich mich vorher erkundigen, wie das Wetter am Reiseziel sein wird? Der mehrfach ausgezeichnete Autor rät zu einem Trick: Man sollte alles, was man mitnehmen will, zusammenlegen, beispielsweise aufs Bett. Hat man nach nochmaliger Kontrolle alles zusammen, packt man es wieder in den Schrank und beginnt mit dieser Prozedur nochmal. Das ganze macht man so oft, bis man der Überzeugung ist, das, was da jetzt liegt, sei genug.

Das Buch liest sich leicht und süffisant; es bringt einen an der ein oder anderen Stelle zu herzhaftem Lachen. Dabei ist es ja eigentlich gar nicht komisch: Die Verwahrlosung des öffentlichen Raums, wie der Soziologe sagen würde, das zuweilen ostentative Schlechtaussehen. Der Leser, der sich an diesen Dingen ebenfalls stört, findet bei Tingler Trost. Zuweilen allein dadurch, dass der Wahl-Schweizer einige der gröbsten Schnitzer beim Namen nennt. Dazu gehört in Deutschland die Vorliebe von Leuten, die ihren relativen Wohlstand zeigen möchten, für eine bekannte französische Taschenmarke. Leider weiß niemand ihrer Benutzer, dass die eigentliche Idee der Überspannung mit Segeltuch und Bedrucken mit den Initialien von einer wenige Jahre älteren Konkurrenzmarke stammt. Und die heißt Goyard und ist tatsächlich exklusiv.

Der vielreisende Autor plaudert aus dem Nähkästchen – weiß er doch wovon er spricht. Ob es um das angemessene Trinkgeld für den Taxifahrer geht, essentielle Verhaltensweisen im Flugzeug oder in der Bahn, kaum eine Seite des Buches enthält nur Bekanntes und lässt den Leser nicht schmunzeln.

Philipp Tingler spricht die Fragen des Reisenden aus, die sich kaum jemand öffentlich zu stellen traut. Warum darf ich ein Behinderten-Klo nicht benutzen, wenn weit und breit kein Rollstuhlfahrer in Sicht ist? Wieso halten sich in einer freien Wirtschaftsordnung alle daran, das erste Taxi in der Schlange zu nehmen, sei es noch so versifft?

Die Illustrationen des Zürichers Daniel Müller sind quasi die Trüffelung von Text und Gestaltung. Sie unterstreichen dutzendfach den feinen Geist der Ironie, an dem es uns Deutschen häufig so sehr mangelt.

geschrieben am 21.04.2011 | 606 Wörter | 3474 Zeichen

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