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Seneca: Das Leben ist kurz!


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Seneca: Das Leben ist kurz! "Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen!" Mit diesen Worten ermahnt Mephistopheles in Goethes 'Faust' einen lernwilligen und unerfahrenen Schüler. Senecas Adressat hingegen ist kein junger Mann, der das Leben noch vor sich hat, sondern ein in seinem Amt gereifter Freund - Paulinus. Diesem versucht er begreiflich zu machen, dass es nicht das lange Leben ist, welches Erfüllung verheißt, sondern dass es die bewusst gelebten Tage im Ganzen sind, die ein gutes Leben ausmachen. Ähnlich wie Goethes diabolische Figur rät auch Seneca seinem Freund, Ordnung in der eigenen Lebensplanung walten zu lassen, um Zeit zu gewinnen. Doch meint Seneca seine Worte - im Gegensatz zu Mephistopheles - nicht verschmitz böswillig. Er rät Paulinus nicht, fortan Moment auf Moment zu türmen. Dies würde nichts nützen, da es keinen Zins auf etwas gibt, das man nicht ansparen kann. Denn Zeit ist so kostbar, das selbst der Dankbarste sie nicht zurückgegen kann, weiß Seneca zu verkünden. Was gilt es nun zu beachten, wenn man aus der Zeitfalle entkommen will? Wer sich soweit auf Senecas Schrift einlässt, ist bereits seinem rhetorischem Charme erlegen und hat den ersten Schritt in Richtung bewustes Leben getan. Ein wichtiger Grundgedanke Senecas ist, dass der Mensch als Gemeinschaftswesen zwar Verantwortung innehat, sich aber dadurch nicht aus der Verantwortung für seine eigene Lebenszeit stehlen sollte. Der Dienst am Gemeinwesen, der Posten, der Job - dies alles sind Lebensmuster, die dem Menschen auf der einen Seite viel Zeit abverlangen, ihm auf der anderen Seite jedoch das Gefühl geben (können), dass er seine Kräfte sinnvoll einsetzt. Und hier wird es nicht ganz unproblematisch. Woher will Seneca eigentlich wissen, dass es besser ist, seine Zeit - auch - in Muße zu verbringen, als mit seinen Gedanken und seinem Streben immerzu auf seinem Posten, Rang oder Ähnlichem zu beharren? Seneca entnimmt diese Überzeugung zum einen seinem stoischen Weltbild, das mit seinem Ideal der Seelenruhe eine Denkfigur bereithält, die den Menschen als ein Wesen ansieht, dem Gottähnlichkeit zumindest in Form von Gelassenheit gegenüber der Welt möglich ist. Die Stoiker denken bei dieser Ähnlichkeit nicht anmaßend oder gar häretisch, sondern schlichtweg idealistisch-gesamtkosmisch: Die Vernunft des Menschen kann ihn gleichgültig gegenüber allem Äußeren machen, wodurch er zum Weisen und dadurch erst eigentlich zum Menschen - zum gott(heit)gleichen Wesen - wird. Diese Möglichkeit der innernen Einkehr ist angesichts eines Postens wie ihn Paulinus bekleidet, nur schwer zu erreichen. Wer wie er über die Staatsvorräte für Weizen wacht, muss immer ein offenes Auge und am besten zwei offene Ohren haben. Widmet man sein Leben nun voll und ganz seinen Pflichten, hat man nach Sencas Auffassung etwas verpasst. Man versäumt sich selbst. Da unser Philosoph exemplarisch von zahlreichen Alten berichtet, die in ihren späten Tagen 'endlich' mit dem bewussten Leben beginnen wollen, dann jedoch feststellen, dass dieses bereits zum größten Teil vergangen ist und daraufhin in lautes Jammern ausbrechen, scheint es nachvollziehbar, dass Seneca ein Missverhältnis zwischen individueller Lebensgestaltung und aufopferungsvoller Pflicht-Erfüllung bestehen sieht. Mit seiner Schrift sucht er jenen Rat und Hilfe zu bringen, die sich bereits zu weit in dem Netz der Pflichten und Verpflichtungen verfangen haben. Wie der stoische Denker zeigt, läuft das Leben dieser Menschen zum größten Teil von selbst ab: Ihre Aufgaben bestimmen ihren Lebensrhythmus. Ob man es nach der Lektüre des kleinen, gebundenen Reclam-Bandes mit seinem eigenen Leben tatsächlich 'besser' oder anders machen kann, bleibt dahingestellt. Fakt ist indessen, dass Seneca mit seiner Schrift nicht zur Faulheit oder zum Nichsttun aufruft, sondern zu einem kritischen Hinterfragen des jeweils eigenen Lebens-Horizonts anregen will. Wer sich anschließend (wieder) für (s)einen Posten entscheidet, geht nur umso konsequenter an seine Aufgaben, da ihn nicht mehr das Gefühl beschleicht, eventuell etwas zu verpassen. Er lebt fortan im Hier und Jetzt - genauso wie derjenige, der sich nach reiflicher Überlegung für eine Neu-Gewichtung seines Lebensplans entschieden hat. Beide Lösungen stellen nun nicht mehr eine (unbewusste) Verlegenheitslösung des eignen Lebensplans dar, sondern sind vielmehr das Ergebnis bewussten Nachdenkens und Handelns. Zur Übersetzung von Marion Giebel bleibt anzumerken, dass sie dem Leser durch die Modernität ihrer Ausdrucksweise zu einem unbeschwerten Einstieg in die römische Welt des ersten Jahrhunderts nach Christus verhilft und dadurch Lust auf mehr Seneca macht - ob nun gelassen oder nicht.

"Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen!"

Mit diesen Worten ermahnt Mephistopheles in Goethes 'Faust' einen lernwilligen und unerfahrenen Schüler. Senecas Adressat hingegen ist kein junger Mann, der das Leben noch vor sich hat, sondern ein in seinem Amt gereifter Freund - Paulinus.

Diesem versucht er begreiflich zu machen, dass es nicht das lange Leben ist, welches Erfüllung verheißt, sondern dass es die bewusst gelebten Tage im Ganzen sind, die ein gutes Leben ausmachen.

Ähnlich wie Goethes diabolische Figur rät auch Seneca seinem Freund, Ordnung in der eigenen Lebensplanung walten zu lassen, um Zeit zu gewinnen. Doch meint Seneca seine Worte - im Gegensatz zu Mephistopheles - nicht verschmitz böswillig. Er rät Paulinus nicht, fortan Moment auf Moment zu türmen. Dies würde nichts nützen, da es keinen Zins auf etwas gibt, das man nicht ansparen kann. Denn Zeit ist so kostbar, das selbst der Dankbarste sie nicht zurückgegen kann, weiß Seneca zu verkünden.

Was gilt es nun zu beachten, wenn man aus der Zeitfalle entkommen will? Wer sich soweit auf Senecas Schrift einlässt, ist bereits seinem rhetorischem Charme erlegen und hat den ersten Schritt in Richtung bewustes Leben getan. Ein wichtiger Grundgedanke Senecas ist, dass der Mensch als Gemeinschaftswesen zwar Verantwortung innehat, sich aber dadurch nicht aus der Verantwortung für seine eigene Lebenszeit stehlen sollte. Der Dienst am Gemeinwesen, der Posten, der Job - dies alles sind Lebensmuster, die dem Menschen auf der einen Seite viel Zeit abverlangen, ihm auf der anderen Seite jedoch das Gefühl geben (können), dass er seine Kräfte sinnvoll einsetzt.

Und hier wird es nicht ganz unproblematisch. Woher will Seneca eigentlich wissen, dass es besser ist, seine Zeit - auch - in Muße zu verbringen, als mit seinen Gedanken und seinem Streben immerzu auf seinem Posten, Rang oder Ähnlichem zu beharren?

Seneca entnimmt diese Überzeugung zum einen seinem stoischen Weltbild, das mit seinem Ideal der Seelenruhe eine Denkfigur bereithält, die den Menschen als ein Wesen ansieht, dem Gottähnlichkeit zumindest in Form von Gelassenheit gegenüber der Welt möglich ist. Die Stoiker denken bei dieser Ähnlichkeit nicht anmaßend oder gar häretisch, sondern schlichtweg idealistisch-gesamtkosmisch: Die Vernunft des Menschen kann ihn gleichgültig gegenüber allem Äußeren machen, wodurch er zum Weisen und dadurch erst eigentlich zum Menschen - zum gott(heit)gleichen Wesen - wird.

Diese Möglichkeit der innernen Einkehr ist angesichts eines Postens wie ihn Paulinus bekleidet, nur schwer zu erreichen. Wer wie er über die Staatsvorräte für Weizen wacht, muss immer ein offenes Auge und am besten zwei offene Ohren haben. Widmet man sein Leben nun voll und ganz seinen Pflichten, hat man nach Sencas Auffassung etwas verpasst. Man versäumt sich selbst. Da unser Philosoph exemplarisch von zahlreichen Alten berichtet, die in ihren späten Tagen 'endlich' mit dem bewussten Leben beginnen wollen, dann jedoch feststellen, dass dieses bereits zum größten Teil vergangen ist und daraufhin in lautes Jammern ausbrechen, scheint es nachvollziehbar, dass Seneca ein Missverhältnis zwischen individueller Lebensgestaltung und aufopferungsvoller Pflicht-Erfüllung bestehen sieht. Mit seiner Schrift sucht er jenen Rat und Hilfe zu bringen, die sich bereits zu weit in dem Netz der Pflichten und Verpflichtungen verfangen haben. Wie der stoische Denker zeigt, läuft das Leben dieser Menschen zum größten Teil von selbst ab: Ihre Aufgaben bestimmen ihren Lebensrhythmus.

Ob man es nach der Lektüre des kleinen, gebundenen Reclam-Bandes mit seinem eigenen Leben tatsächlich 'besser' oder anders machen kann, bleibt dahingestellt. Fakt ist indessen, dass Seneca mit seiner Schrift nicht zur Faulheit oder zum Nichsttun aufruft, sondern zu einem kritischen Hinterfragen des jeweils eigenen Lebens-Horizonts anregen will. Wer sich anschließend (wieder) für (s)einen Posten entscheidet, geht nur umso konsequenter an seine Aufgaben, da ihn nicht mehr das Gefühl beschleicht, eventuell etwas zu verpassen. Er lebt fortan im Hier und Jetzt - genauso wie derjenige, der sich nach reiflicher Überlegung für eine Neu-Gewichtung seines Lebensplans entschieden hat. Beide Lösungen stellen nun nicht mehr eine (unbewusste) Verlegenheitslösung des eignen Lebensplans dar, sondern sind vielmehr das Ergebnis bewussten Nachdenkens und Handelns.

Zur Übersetzung von Marion Giebel bleibt anzumerken, dass sie dem Leser durch die Modernität ihrer Ausdrucksweise zu einem unbeschwerten Einstieg in die römische Welt des ersten Jahrhunderts nach Christus verhilft und dadurch Lust auf mehr Seneca macht - ob nun gelassen oder nicht.

geschrieben am 15.08.2007 | 684 Wörter | 3985 Zeichen

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