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Maß und Zeit


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Maß und Zeit »Was mich groß gemacht hat, war auch der Müßiggang«, notierte Charles Baudelaire in seinen tagebuchähnlichen Aufzeichnungen. Doch er wäre nicht Baudelaire, wenn er die Kehrseite nicht sogleich nachlieferte: »Zu meinem großen Nachteil; denn ohne Vermögen vermehrt der Müßiggang die Schulden und die Schmählichkeiten, die das Schuldenmachen mit sich bringt. Zu meinem großen Vorteil jedoch, was die Reizbarkeit der Empfindung, die Meditation und die Begabung zum Dandy und Dilettanten betrifft…« Baudelaire schildert den Spannungsbogen, in dem der geistige Mensch sich befindet: Die Wahl zwischen Kunstschaffen und dem Fiskalischen. Jedwede Form von Kunst ist in seiner reinen Form pure Meditation. Dagegen: Das Geldverdienen ist Bedingung des Lebens in einer materiellen Welt. Wovon leben? Wilhelm Schmid-Bode bringt in seinem neuen Buch »Maß und Zeit« über die Kraft der klösterlichen Werte und Rituale das Beispiel von Janosch, dem Zeichner. »Er war berühmt und erfolgreich, mit Auszeichnungen dekoriert und mit gerade fünfzig dort angekommen, wo er als Kind aus einfachster Bergarbeiterfamilie hatte ankommen wollen. Den prügelnden Alkoholiker-Vater, die finanzielle Notlage, das Verachtetwerden, alles hatte er überwunden, er war der Liebling der Münchner Gesellschaft, der weiblichen speziell«, schildert der in München lebende und praktizierende Stressforscher Schmid-Bode das Schicksal dieses Erfolgreichen in seinem berührenden Buch. »Da zog er sich zurück, unangekündigt, nur wenige wussten, wohin.« Janosch hat Deutschland, seine Umgebung und damit sein gesamtes vertrautes Umfeld verlassen. Weder Telefonnummer noch Postanschrift hat er hinterlassen, berichtet der Autor, Facharzt für Psychosomatik. Janosch ist in dem Buch ein Beispiel. Ein Beispiel für ein anderes Leben, ein Leben, das die meisten viel lieber führen würden. Nur wissen sie nicht wie. Janosch ist einfach ausgestiegen. Bereits die Kapitelüberschriften zeigen, was der 58jährige aus dem Kloster, quasi wie aus einem mentalen Steinbruch, herausholt: Demut, Askese, Maßhalten oder Bedürfnislosigkeit sind Tugenden, die er uns anempfiehlt. Anhand von Beispielen aus dem Alltag wird plastisch, wie diese großen Worte mit Leben gefüllt werden können und dann nicht Kraft kosten – sondern unser Dasein zutiefst bereichern. Diese klösterlichen Tugenden klingen heute ein wenig wie große Aufgaben. Doch erwartet das Buch von seinem Leser nicht viel. Schmid-Bode verlangt nur »das Eingeständnis, dass Ihr, dass unser Alltag bestimmt wird von der Idee der Steigerung. Wir wollen beruflich weiterkommen, wir wollen noch mehr von der Welt sehen, wir wollen mehr Glücksmomente erleben, mehr Geld verdienen, mehr Freunde gewinnen.« Der Komparativ sei zu unserem Daseinsprinzip geworden. Das Wertvollste aber, was ein Mensch besitzt, ist seine Lebenszeit. Zukunftsforscher beschreiben diese bekannte Wahrheit heute so: Zeit ist Luxus. Viele besonders erfolgreiche Manager versuchen, ihren Mangel an privater Zeit dadurch zu kompensieren, dass sie in den wenigen Augenblicken, in denen sie nicht arbeiten, besonders intensiv leben wollen. Sie essen in einem besonders guten Restaurant, trinken besonders guten Wein. Die Zeit, die sie für ihre Frau nicht haben, kompensieren sie durch besonders teure Geschenke. Doch das funktioniert nicht. Noch nicht einmal im Anschein. Denn das Leben ist dann intensiv, wenn wir zu uns kommen. Das Leben stellt an uns den Anspruch, es in jeder Minute glücklich zu verbringen. Ein gutes Gespräch, eine anregende Lektüre oder ein Lächeln. Diese Momente sind nicht zu vertagen. Die von Schmid-Bode beschriebenen Kloster-Rituale sind Wege dorthin. Wege, zu größerer Ruhe, zu »sinnerfüllter Gelassenheit«. Nicht ohne Ironie ist, dass gerade die »Wirtschaftswoche« davon berichtet, Schmidt-Bode lebe selbst nach seinen Grundsätzen: »Er besitzt weder Eigenheim noch Auto, weder Handy noch Fernseher – dafür aber viele Freunde, ausreichend Muße und massenhaft Zeit für seine Frau.«

»Was mich groß gemacht hat, war auch der Müßiggang«, notierte Charles Baudelaire in seinen tagebuchähnlichen Aufzeichnungen. Doch er wäre nicht Baudelaire, wenn er die Kehrseite nicht sogleich nachlieferte: »Zu meinem großen Nachteil; denn ohne Vermögen vermehrt der Müßiggang die Schulden und die Schmählichkeiten, die das Schuldenmachen mit sich bringt.

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Zu meinem großen Vorteil jedoch, was die Reizbarkeit der Empfindung, die Meditation und die Begabung zum Dandy und Dilettanten betrifft…«

Baudelaire schildert den Spannungsbogen, in dem der geistige Mensch sich befindet: Die Wahl zwischen Kunstschaffen und dem Fiskalischen. Jedwede Form von Kunst ist in seiner reinen Form pure Meditation. Dagegen: Das Geldverdienen ist Bedingung des Lebens in einer materiellen Welt. Wovon leben?

Wilhelm Schmid-Bode bringt in seinem neuen Buch »Maß und Zeit« über die Kraft der klösterlichen Werte und Rituale das Beispiel von Janosch, dem Zeichner. »Er war berühmt und erfolgreich, mit Auszeichnungen dekoriert und mit gerade fünfzig dort angekommen, wo er als Kind aus einfachster Bergarbeiterfamilie hatte ankommen wollen. Den prügelnden Alkoholiker-Vater, die finanzielle Notlage, das Verachtetwerden, alles hatte er überwunden, er war der Liebling der Münchner Gesellschaft, der weiblichen speziell«, schildert der in München lebende und praktizierende Stressforscher Schmid-Bode das Schicksal dieses Erfolgreichen in seinem berührenden Buch.

»Da zog er sich zurück, unangekündigt, nur wenige wussten, wohin.« Janosch hat Deutschland, seine Umgebung und damit sein gesamtes vertrautes Umfeld verlassen. Weder Telefonnummer noch Postanschrift hat er hinterlassen, berichtet der Autor, Facharzt für Psychosomatik. Janosch ist in dem Buch ein Beispiel. Ein Beispiel für ein anderes Leben, ein Leben, das die meisten viel lieber führen würden. Nur wissen sie nicht wie. Janosch ist einfach ausgestiegen.

Bereits die Kapitelüberschriften zeigen, was der 58jährige aus dem Kloster, quasi wie aus einem mentalen Steinbruch, herausholt: Demut, Askese, Maßhalten oder Bedürfnislosigkeit sind Tugenden, die er uns anempfiehlt. Anhand von Beispielen aus dem Alltag wird plastisch, wie diese großen Worte mit Leben gefüllt werden können und dann nicht Kraft kosten – sondern unser Dasein zutiefst bereichern. Diese klösterlichen Tugenden klingen heute ein wenig wie große Aufgaben. Doch erwartet das Buch von seinem Leser nicht viel. Schmid-Bode verlangt nur »das Eingeständnis, dass Ihr, dass unser Alltag bestimmt wird von der Idee der Steigerung. Wir wollen beruflich weiterkommen, wir wollen noch mehr von der Welt sehen, wir wollen mehr Glücksmomente erleben, mehr Geld verdienen, mehr Freunde gewinnen.« Der Komparativ sei zu unserem Daseinsprinzip geworden.

Das Wertvollste aber, was ein Mensch besitzt, ist seine Lebenszeit. Zukunftsforscher beschreiben diese bekannte Wahrheit heute so: Zeit ist Luxus. Viele besonders erfolgreiche Manager versuchen, ihren Mangel an privater Zeit dadurch zu kompensieren, dass sie in den wenigen Augenblicken, in denen sie nicht arbeiten, besonders intensiv leben wollen. Sie essen in einem besonders guten Restaurant, trinken besonders guten Wein. Die Zeit, die sie für ihre Frau nicht haben, kompensieren sie durch besonders teure Geschenke. Doch das funktioniert nicht. Noch nicht einmal im Anschein. Denn das Leben ist dann intensiv, wenn wir zu uns kommen. Das Leben stellt an uns den Anspruch, es in jeder Minute glücklich zu verbringen. Ein gutes Gespräch, eine anregende Lektüre oder ein Lächeln. Diese Momente sind nicht zu vertagen.

Die von Schmid-Bode beschriebenen Kloster-Rituale sind Wege dorthin. Wege, zu größerer Ruhe, zu »sinnerfüllter Gelassenheit«.

Nicht ohne Ironie ist, dass gerade die »Wirtschaftswoche« davon berichtet, Schmidt-Bode lebe selbst nach seinen Grundsätzen: »Er besitzt weder Eigenheim noch Auto, weder Handy noch Fernseher – dafür aber viele Freunde, ausreichend Muße und massenhaft Zeit für seine Frau.«

geschrieben am 15.05.2008 | 563 Wörter | 3408 Zeichen

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